Tessa
gehetztes und erwartungsschweres: »Hallo«.
»Hier ist Jochen.«
Ihr Herz klopft, ihr ist heiß und kalt zugleich, sie tropft.
»Oh. Hallo. Warte kurz, ja?« Sie drückt das Handy an ihren nassen Oberkörper. Sie hat ein Flimmern vor Augen. Nur zurück in die Badewanne, sie muss sich hinlegen. Vorsichtig kehrt sie dorthin zurück. Atmet bewusst ein und aus. Ein und aus. Sie klettert wieder in die Badewanne, nimmt erst noch einen tiefen Schluck aus dem Rotweinglas, dann noch zwei, drei Schlucke, hastig, weil sie Angst hat, er könnte auflegen.
»Frieder, bist du noch dran?«
»Ja. Was machst du? Störe ich?«
»Nein. Ich bade.«
»In der Badewanne?«
»Wo sonst?«
»Ist es nicht zu warm für die Badewanne?«
Er lacht sein süßes und schon vertrautes Lachen. Scheiße, sie kennt ihn doch gar nicht. Auf die Frage aber hat sie keine Antwort, also wartet sie ab, ob er noch mehr zu sagen hat. Sie hört seinen Atem und hält die Luft an.
»Ich dachte, vielleicht, wir könnten uns sehen«, kommt es dann zögerlich.
»Ja«, antwortet sie prompt.
»Kann ich dich morgen um zwölf abholen? Hast du Zeit? Magst du vielleicht mit mir wegfahren?«
Ihr Herz fängt wie wild an zu schlagen, und weil sie nicht mehr länger warten will, fragt sie ihn: »Hast du vielleicht heute schon Zeit?«
»Du meinst jetzt?«
Sie schweigt wieder, wartet auf seine Antwort.
»Wo soll ich dich abholen?«
»Erinnerst du dich noch, wo ich wohne?
»Ja, an die Straße erinnere ich mich, aber nicht die Hausnummer.«
». Du musst bei Behn klingeln. Bis gleich.«
Sie legt schnell auf, weil sie Angst hat, was Falsches zu sagen oder dass er es sich anders überlegen könnte. Glücklich lässt sie das Telefon neben sich auf den trockenen Boden fallen. Taucht wieder unter in das beruhigende Wasser. Den ersehnten ohrenstimulierenden Genuss wartet sie gar nicht erst ab. Keine Zeit für Muße. Nachdenken, aber auch dafür ist keine Zeit. Eine angenehme Rotweinschwere hat sich in ihrem Kopf ausgebreitet. Sie sollte vielleicht wieder etwas nüchtern werden, aber vorher muss sie noch ein wenig Wein trinken. Erst einmal auftauchen, das Glas an die Lippen führen. Glas austrinken, Rotwein schmeckt scheiße, wenn er hastig runtergeschluckt wird, aber sie muss ja schnell wieder nüchtern werden. Sie muss würgen. Schnell springt sie aus der Wanne, schwingt den Bademantel um ihren nassen Körper und geht ins Schlafzimmer. Was soll sie nur anziehen? Sie starrt auf ihre Kleiderstange und den Haufen zerknüllter Klamotten, der darunter liegt, und sinkt auf ihr Bett. Sie muss sich inspirieren lassen, also geht sie zurück ins Badezimmer, wo sie die Rotweinflasche stehen gelassen hat. Das Glas noch einmal füllen. Mit Glas und Flasche geht sie in die Küche und macht sich einen Kaffee. Nüchtern werden, schreit es in ihrem Kopf. Mit dem vollen Weinglas in der Hand macht sie sich an die Arbeit, stellt die Espressomaschine auf den Herd. Und geht wieder zurück in ihr Schlafzimmer. Ein rotes Kleid, nur einmal getragen, sticht ihr ins Auge. Sonst ignoriert sie es eigentlich immer, obwohl es hübsch ist. Charlotte hat es gemacht. Es ist aus einem weichen teuren Stoff und gut geschnitten, aber die Ärmel sind einen Tick zu kurz, und es spannt an den Brüsten, dadurch klafft, wenn sie sich bewegt, an der Vorderleiste zwischen den Knöpfen eine große Lücke. Sie zieht es über und betrachtet sich im Spiegel. Wenn sie still steht, dann fällt es nicht auf. Eigentlich ist das Kleid nur eine Nummer zu klein. Sie behält es an. Irgendwas muss sie ja anziehen, und sie weiß nicht, wann er kommen wird. Also rotes Kleid, sie trinkt es sich schön. Nun noch die passenden Hacken finden. Rouge auf ihre Bäckchen, und sie torkelt fast auf dem Weg zurück auf den Zwölf-Zentimeterabsätzen, ebenfalls rot. Ton in Ton. Macht schon was aus. Sie kichert vor sich hin. Es brabbelt aus der Küche, der Espresso scheint fertig zu sein. Gas runter, die kleine Espressomaschine vom Herd. Noch einen Schluck Rotwein, sie ist noch nicht bereit, mit dem Trinken aufzuhören. Rote Lippen, sie lächelt ihrem Spiegelbild entgegen. Geht doch. Sie ist glücklich, schon das zweite Mal an diesem Tag.
Als es klingelt, stolpert sie zur Sprechanlage. Reiß dich zusammen, denkt sie, doch sie merkt, wie betrunken sie schon ist.
»Frieder?«, brüllt sie dann auch etwas zu laut in den Hörer.
»Ja«, antwortet es knisternd.
»Komme.«
Schnell rennt sie zu ihrem Kaffee, der wird sie wieder
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