Tessa
ihr und gibt ihr einen leichten Kuss auf den Mund.
Sie grinst verlegen. »Hast du mich entführt?«
»Ja. Komm. Ich zeige dir was Schönes.« Er nimmt seinen umgedrehten jutefarbenen Kaiser’s-Beutel, greift vom Rücksitz sein Handtuch, stopft es hinein und öffnet die Tür, um auszusteigen.
»Wo sind wir?«, fragt Tessa erneut und bleibt sitzen.
Frieder wendet sich ihr zu. »In Polen. Na, komm.«
Sie steigt langsam aus, sieht sich um. Ein See, tiefschwarz, vor ihr. Sie dreht sich und sieht altes Gemäuer, turmartig erhöht es sich in den Himmel. Grobe Pflastersteine bereiten ihr Schwierigkeiten, in den hohen Schuhen zu laufen, und sie knickt ein paarmal um. Sie treffen sich auf Höhe des Kofferraums.
Er lacht sie an. »Wollen wir kurz schwimmen?«
Sie zögert. »Ich weiß nicht. Es ist bestimmt kalt.«
Nur schemenhaft sieht sie seine Gesichtszüge im Dunkeln, aber erkennt das sich nähernde Gesicht, schließt ihre Augen, und seine Lippen berühren ihre.
Sie löst sich aus der Umarmung. »Okay, vielleicht mag ich doch schwimmen gehen.«
Sie hört Frieders Lachen neben sich. Sein Gesicht bleibt im dunklen Schatten der Bäume versteckt. Er nimmt ihre Hand, und sie gehen durch ein altes Burgtor.
»Aber wo sind wir hier, Frieder?«
»Auf einem alten polnischen Schloss.«
»Ja? Heiratest du mich jetzt?«
Er lacht. »Ich bin doch schon verheiratet.«
Das Lächeln auf ihrem Gesicht stirbt. Ein Schmerz durchzuckt ihren Körper. Das hatte sie verdrängt.
Sie betreten einen Badesteg, und das alte Holz knarrt unter ihren Füßen. Dunkel erstreckt sich der See vor ihnen. Die Bäume werfen Schatten, der helle Mond steht unwirklich im Hintergrund. Frieder lässt ihre Hand los, um sich auszuziehen. Als er nackt neben ihr steht und sie ansieht, muss Tessa lachen. Er beugt sich zu ihr, küsst sie, wendet sich ab und springt mit einem Kopfsprung ins Wasser. Sie beobachtet ihn, wie er schwimmt, wie er auf dem Wasser liegt, mit dem Wasser spielt, im Wasser gleitet, und sehnt sich plötzlich auch nach diesem Gefühl. Ein Geräusch lässt sie herumfahren. Erschrocken sieht sie sich um. Dann entdeckt sie eine Entenmutter mit sechs kleinen Entenbabys, die unter dem Steg auftauchen. Sie beobachtet, wie sie friedlich davonschwimmen. Sie streift ihr Kleid über den Kopf, zieht ihre Unterwäsche aus, legt sie vorsichtig auf ihr Kleid und steigt als Letztes aus ihren Schuhen. Nackt steht sie auf dem Steg. Sie friert nicht. Die Nacht ist noch immer warm. Mit einem Kopfsprung springt sie ihm hinterher. Ihr Körper verschwindet unter der Decke aus Wasser. Sie schwimmt ein paar kräftige Züge, hält die Luft an und versucht, so lange zu tauchen, wie sie nur kann. Das Wasser ist kühl und fühlt sich klar und weich an. Die Übelkeit, die sie ständig und überallhin begleitet, verschwindet. Erleichtert taucht sie auf, schnappt nach Luft, und in einiger Entfernung sieht sie Frieder, der auf sie zugeschwommen kommt. Mit kräftigen Zügen schwimmt sie ihm entgegen. Er lächelt sie an. Sie strampelt mit den Beinen, während sie sich von ihm küssen lässt. Gemeinsam schwimmen sie, Körper an Körper. Und sie spürt so etwas wie Glück. Sie schließt die Augen, dreht sich auf den Rücken, ihre Brustwarzen schauen aus dem Wasser. Frieder schwimmt näher an sie ran und küsst ihre Brüste. Sie erschrickt, lacht, geht unter, taucht prustend, Wasser spuckend, wieder auf. Er hält sie in der Taille, sie sehen sich in die Augen.
»Ich habe Angst«, sagt sie. Küsst ihn. »Ist das Liebe?«
Er lässt sie los, taucht unter. Sie strampelt mit den Beinen auf der Stelle, sucht die Oberfläche nach ihm ab. Zweifel machen sich breit. Sie dreht sich, sucht ihn. Einsamkeit umschließt ihr Herz. Die dunklen Schatten der Bäume lassen das Wasser schwarz aussehen. Das Wasser ist plötzlich eisig kalt. Warum redet sie auch immer so einen Scheiß? Die Wasseroberfläche ist spiegelglatt. Da taucht er plötzlich auf, hat ein Grinsen im Gesicht, er schwimmt auf sie zu, küsst sie, schiebt sie vor sich her. Umgreift sie, hält sie. Und alles, was sie fühlt, ist Liebe.
Das Bild im Hotelzimmer über dem alten Bett zeigt ein nacktes Paar. Die Wände sind in einem kräftigen Altrosa gestrichen. Der Kleiderschank sowie das Bett scheinen liebevoll restauriert. Die Wände sind zwei Meter dick. Kühl. Gestärkte blütenweiße Bettwäsche, die beim Bewegen einladend raschelt. Sie weiß nicht, ob sie die Augen öffnen oder geschlossen halten soll. Die Matratze ist
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