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Tessa

Tessa

Titel: Tessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Karlsson
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Bravour. Tessa bleibt stehen, ihr ist wackelig auf den Beinen. Sie sieht sich nach einer Bank um, da fährt schon die U-Bahn ein. Quersitze. Die Blonde sitzt im Nebenwaggon. Ein Penner an Krücken schlängelt sich durch den schmalen Gang. Sie hält den Atem an, kann im Moment einfach keinen Uringeruch ertragen. Am Kaffee nippt sie nur noch, vielleicht ist der schuld daran, dass ihr jetzt so übel ist. Der Penner trägt die Obdachlosenzeitschrift Motz vor sich her in der Krückenhand, verschont sie alle mit seinem Gelaber. In der anderen Hand hält er mehrere ausgeblichene Plastiktüten. Keiner kauft seine Motz , vielleicht hätte er doch was sagen sollen. Er bleibt stehen, um seine Tüten zu sortieren, dabei fällt krachend eine seiner Krücken um. Er schwankt, verliert das Gleichgewicht, kann sich noch an der Stange halten. Die Krücke liegt am Boden. Er lässt sich umständlich in die Knie sinken. Alle schauen betreten weg. Die Bahn hält. Tessa steigt Möckernbrücke aus. Was will sie hier? Sie ist zu weit gefahren. Ihr Körper wird schwer, ihr wird alles zu anstrengend. Sie muss sich hinsetzen. Sie wählt die nächstbeste Bank, nippt an ihrem kalten Kaffee. Schließt die Augen. Nur eine Sekunde.
    Sie schreckt auf, als sie den Kaffeebecher fallen lässt. Vor ihren Füßen eine Lache Kaffee, in dem ein Euro liegt, ein Zehn-Cent-Stück rollt in Zeitlupe das Bahngleis entlang. Tessa sieht sich um, bückt sich und hebt das Geldstück auf, wischt es am Saum ihres roten Kleides ab und schmeißt es in ihre Handtasche. Sie steigt über den verlassenen Kaffeebecher, stellt sich an den Bahnsteigrand und wartet auf den nächsten Zug.
    Vor Nicks Haus bleibt sie zögerlich stehen, sie gibt sich einen Ruck, bevor sie entschlossen auf die Klingel drückt. Sie räuspert sich. Drückt noch mal, diesmal entschiedener. Der Summer ertönt. Sie ist einen kleinen Moment überrascht und springt dann doch schnell in Richtung Tür, um sie im letzten Moment aufstoßen zu können. Sie betritt den dunklen Hausflur und steigt die Treppen hoch, ihr Herz pocht. Die Tür ist angelehnt. Sie drückt sie vorsichtig auf, klopft sachte an. Und betritt den Flur.
    Nick erscheint und sieht sie erstaunt an. »Was willst du denn hier?«
    Verlegen fragt sie: »Hast du jemanden anderen erwartet?«
    »Yep. Und jetzt kannst du wieder gehen. Ich erwarte tatsächlich jemanden.« Mit verschränkten Armen schaut er sie kalt an.
    Sie bleibt stehen, ihr Kopf geneigt. »Ich kann nicht gehen.«
    »Doch, du kannst gehen. Das hast du mir beim letzten Mal ja auch gezeigt, wie einfach so was gehen kann. So.«
    Er nimmt ihren Arm und führt sie zur Wohnungstür zurück. Sie lässt ihn ein paar Schritte gewähren, dann bleibt sie stehen, wehrt sich gegen den Druck seiner Hand, sie reißt ihren Arm fort, fängt an zu schreien. Er ist zu erschrocken, um zu begreifen. Sie kreischt, läuft in sein Schlafzimmer und schmeißt sich auf sein Bett. Sie boxt in die Kissen, reißt die Laken hoch, zerwühlt das Bett.
    »Warum liebt mich keiner?«, schreit sie. »Ich hasse dieses Leben. Ich hasse es, hasse es!«, kreischt sie. Ihr Gesicht ist verzerrt, und sie spürt, wie die Hässlichkeit Oberhand gewinnt. Sie dreht sich zu Nick um: »Hilf mir.« Dabei sieht sie ihn flehend an. Nick steht im Türrahmen, und mitleidig begegnet er ihrem Blick. Dann wendet er sich ab und schließt die Tür. Sie ist allein. Sie steckt den Kopf in die Kissen, und der vertraute Geruch beruhigt sie. Sie ist nicht allein, zumindest nicht ganz und nicht jetzt. Und sie schmiegt sich in die Kissen. Nur schlafen, nachher findet sich bestimmt alles wieder zurecht.
    Als sie aufwacht, sind ihre Augen verquollen, es dauert einen kurzen Moment, bis sie Nicks Schlafzimmer erkennt. Es dämmert draußen. Sie steht auf, weil sie aufs Klo muss. Sie zieht ihre hohen Hacken aus, die sie auch im Bett getragen hat, und schleicht langsam aus dem Zimmer. Auf Zehenspitzen geht sie durch den dunklen Flur, sie hört den Fernseher im Wohnzimmer und sieht das bunte flimmernde Licht des Bildschirms. Erst auf die Toilette. Sie schließt leise die Tür, hebt ihr Kleid und setzt sich, spürt den vertrauten warmen Strahl ihres Urins, das hat etwas Beruhigendes. Und sie schließt die Augen. Sie mag kaum aufstehen, gibt dennoch nach. Sie spült und sieht, wie sich das Gelbe klärt. Sie tapst zur Tür, schaut schuldbewusst das Waschbecken an, nein, nicht jetzt, das Kalt würde sie erschrecken, und auf das Warme zu warten erscheint ihr zu

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