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Tessa

Tessa

Titel: Tessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Karlsson
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Sie muss husten. Die Zigarette ist noch nicht aufgeraucht, das Glas schon wieder leer. Sie steht auf, geht zurück ins Wohnzimmer, sammelt die beiden Flaschen ein, und zurück in der Küche gießt sie die letzten Tropfen in ihr Glas. Traurig schüttelt sie den Kopf. Sie trinkt den letzten Schluck, inhaliert tief den Rauch ihrer Zigarette und drückt sie auf einem Unterteller aus. Es ist nichts mehr zu tun, der Wein ist ausgetrunken, also geht sie ins Bett.
    Tessa reißt ihre Augen auf. Draußen ist es hell. Ihr Herz hämmert. Ihr Bettlaken ist nass geschwitzt und klebt an ihrem Körper. Sie verschränkt die Arme vor der Brust, ihren eigenen Körper haltend. Sie liegt in ihrem Schlafzimmer. Allein. Vergeblich sucht sie auf dem Nachttisch nach ihrem Handy. Wie spät ist es? Sie kann nicht aufstehen, kann sich nicht bewegen. Angst. Sie mag nicht mehr leben. Sie dreht sich auf die Seite, will sterben, aber ihre Blase drückt, vorher muss sie noch auf die Toilette gehen. Mutlos schlägt sie die Decke zur Seite.
    Im Badezimmer greift sie nach dem Bademantel. In ihrem Kopf bummert es dumpf. Während sie auf der Toilette sitzt, sieht sie an sich hinunter, der Bademantel ist dreckig. Der Frottee ist an manchen Stellen dünn und grau. Sie spült. Mit geöffnetem Bademantel stellt sie sich vor den Spiegel. Dunkle Ringe unter den Augen. Sie starrt sich leer durch Zahnpastaspritzer an. Kraftlos hebt sie ihre Arme, ihr Bademantel, dessen Gür­tel­enden lose an den Seiten herunterbaumeln, öffnet sich weiter, ein­gehend betrachtet sie ihren Körper. Rippen zeichnen sich deutlich ab, und sie fragt sich, wann sie das störende Fett verloren hat. Ihre Brüste sind etwas kleiner geworden. Sie wendet den Blick ab, bückt sich zum Wasserhahn, spült sich den Mund mit klarem Wasser. Im Flur steigt sie über ihr kaputtes Handy. Ihre Nutzlosigkeit schleppt sie mit jedem Schritt mit sich. In der Küche sucht sie Kaffee, aber muss feststellen, dass die Packung leer ist. Sie wirft sie mutlos neben den überquellenden Mülleimer. Stattdessen greift sie nach ihrer Medikamentendose und wühlt nach passenden Pillen. Der letzte Streifen ihres Antidepressivums ist fast alle. Das Barbiturat lacht sie unbekümmert an. Nur noch vier Tabletten, sie braucht schon wieder ein neues Rezept. Sie nimmt zwei vom Barbiturat, zwei vom Antidepressivum. Über die Spüle gebeugt, schluckt sie die Tabletten und macht sich auf den Weg zurück in ihr Bett. Die Pillen werden sie gleich sanft in Watte packen.
    Es ist noch immer hell, als sie wieder erwacht. Sie hat keinerlei Zeitgefühl. Sie sieht sich nach ihrem Handy um, bevor ihr wieder einfällt, dass es im Flur verteilt auf dem Boden liegt. Kein rettender Anruf, aber wer sollte sie auch anrufen. Dumpfe Traurigkeit, die nicht einmal Tränen erlaubt. Warum sollte sie heulen? Wozu? Sie schließt ihre Augen wieder. Die Pillen halten sie noch ein wenig. Lieber noch etwas schlafen, nur bis es ihr besser geht. Sie ist nicht müde, ist nicht wach. Ihr Körper ist so schwer. Sie kann ihn kaum bewegen. Mühsam dreht sie sich zum Fenster, streicht die Gardine zur Seite. Sie sieht hinaus, die Äste des großen Baumes vor ihrem Fenster wiegen sich sanft im Wind, und fast hört sie das Knistern der letzten vertrockneten Blätter. Sie fühlt sich so hoffnungslos wie ein totes Blatt, vielleicht sollte sie auch loslassen. Sich auf ihren Fensterrahmen stellen und einfach fallen lassen. Vielleicht braucht sie mehr Tabletten. Sie wühlt sich aus der Decke, steht auf, aber ihr wird schwarz vor Augen. Sie muss sich wieder hinsetzen. An der Bettkante hält sie sich fest. Das Holz drückt hart in ihre Hand­flächen. Sie versucht ihre verkrampfte Hand zu entspannen. Ihr Körper ist in sich zusammengesunken, ihr wird die hässliche Haltung bewusst. Sie versucht sich gerade hinzusetzen. Haltung anzunehmen. Aber keiner sieht ihr zu. Und so fällt sie wieder in sich zusammen. Atmet ein paarmal tief durch. Doch auch das tut weh. Ihre Lungen schmerzen. Sie rafft sich wieder auf, setzt sich gerade hin und bindet sich ihren Bademantel fest zu. Sie versucht erneut aufzustehen. Ihr wird schlecht, sie spürt, wie sich ihr Ma­gen­inne­res empor­kämpft. Eine Welle der Übelkeit bringt neue Kraft, sie springt auf, rennt ins Bad, schafft es aber nicht, den Klodeckel zu öffnen, und kotzt direkt vor die Toilette. Gelblicher Mageninhalt, mit roten Blutfäden durchzogen, bildet eine große Pfütze auf ihren ohnehin schon dreckigen Kacheln.

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