Tessa
nicht mehr mit ihm. Sie gießt ihr Glas voll. Einmal die Woche oder nur einmal im Monat. Sie sah erfolgreich aus, wahrscheinlich arbeitet sie lange und langweilt ihn am Abend mit ihren Erfolgsgeschichten. Vielleicht denkt er aber auch, dass sie eine Schlampe ist, und deswegen wird er sich nicht von seiner Frau trennen. Oder er meint, es sei ihr nicht ernst genug. Aber er will sie vögeln, er kommt ja immer, wenn sie ruft. Er ist schwach. Er hat Angst. Er glaubt vielleicht, mit ihr kann man keine normale Beziehung führen, weil sie die letzten Male so hysterisch war. Sie will ihm das nächste Mal sagen, dass sie nur so wütend war, weil er verheiratet ist. Wenn er sich nicht traut, es seiner Frau zu sagen, dann muss sie mit ihr sprechen.
Hastig trinkt sie vom Wein, kann nicht genug kriegen, bis sich eine wohlige Wärme in ihrem Bauch einstellt. Die Stille lässt die Wohnung einsam wirken. Sie schaltet den Fernseher ein. Doch der Ton nervt, sie stellt den Fernseher wieder aus. Dreht sich am Küchentisch eine Zigarette. Charlotte kennt die Frau. Diese alte Frau. Also muss Tessa einfach nur Charlotte anrufen, sie bitten, dass sie es ihr sagt. Sie gießt sich Wein nach, das Glucksen hallt durch den leeren Raum. Sie trinkt, zieht gierig an ihrer Kippe. Erleichterung breitet sich in ihrem Körper aus, und ihr Brustkorb scheint sich wieder zu öffnen. Befreit. Sie greift nach ihrem Päckchen Tabak, dreht sich die nächste Zigarette. Hustet, als sie das Nikotin ausatmet. Vielleicht hat Frieder auch nur Angst, dass sie ihn verlassen könnte, wenn er sich von seiner Frau trennt. Ganz bestimmt liebt er sie nicht mehr, sonst würde er nicht gleichzeitig sie lieben können. Mit Sorge sieht Tessa die Weinflasche sich viel zu schnell leeren. Wenn seine Frau es weiß, dann wird sie Frieder verlassen, weil er ein Schwein ist. Und dann wird er zu ihr gekrochen kommen. Sie braucht mehr Wein, das Glas ist schon wieder leer. Nachschütten. Und dann wird er mit seinen Koffern vor ihrer Tür stehen. Und dann wird sie sich überlegen, ob sie ihn noch haben will. Vielleicht will sie ihn dann auch gar nicht mehr. Weil er ein Schwein ist. Und eine feige Sau. Ein Weichei. Weil er seine Frau betrügt und irgendwann vielleicht auch sie betrügen wird. Noch ein Schluck Wein, nur ein kleiner. Sie muss langsamer trinken. Aber sie muss es darauf ankommen lassen. Sie muss jetzt Charlotte anrufen. Sie steht auf und spürt eine angenehme bleierne Schwere in ihrem Körper. Alles macht plötzlich Sinn, sie sieht es glasklar, er liebt sie, braucht nur einen Anstoß, um sich von seiner Frau zu trennen. Und sie versteht ihn ja auch. Bestimmt waren sie einmal ein glückliches Paar. Die Frau sah nett aus, vielleicht etwas zu alt. Aber sie war ja schließlich mal jung. Mit dem Glas in der Hand macht sie sich auf die Suche nach dem Telefon. Als sie die einzelnen Teile im Flur entdeckt, stöhnt sie angestrengt auf. Sie geht zurück in die Küche, starrt die leere Flasche Wein an, sie braucht noch mehr. Sie braucht jetzt nur noch eine zweite Flasche Wein. Dann wird sie glücklich sein. Alles wird gut. Sie hat einen Plan.
Auf der Straße atmet sie tief die herbstliche Luft ein. Die Glocke läutet wieder über ihrem Kopf. Und auch die Traube an der Kasse ist dieselbe. Als sie an die Reihe kommt, sieht der Kassierer sie anklagend an. Sie meidet seinen Blick, sattdessen zeigt sie auf die Flasche hinter ihm. »Rotwein, der spanische.« Sie lallt schon leicht und hofft, der Verkäufer kriegt es nicht mit. Er dreht sich um, die Rotweinflasche muss aus der zweiten Reihe geholt werden. Schuldig schaut sie auf die größer werdende Lücke. Ein tiefer Graben im Regal.
»!«, bellt der Verkäufer sie an.
Sie kramt aus ihrer Hosentasche einen verknitterten Fünf-Euro-Schein, legt ihn auf die Plastikablage, greift die Flasche und verlässt den Laden. Der Mann hat ihr schlechte Laune gemacht, sein abschätziger Blick, als sei sie eine Alkoholikerin. Hasserfüllt überlegt sie, was sie hätte sagen sollen. Nicht ich habe das Problem, du hast diesen beschissenen Job, such dir einen neuen, wenn du so unzufrieden bist. Sie umgreift fester ihre Flasche.
Sie steht an ihrer Küchenzeile und schiebt das dreckige Geschirr zur Seite. Platz da für die neue Flasche, denkt sie schon leicht betrunken. Der Korkenzieher liegt nicht griffbereit, und sie kann ihn auch sonst nirgends sehen. Sie öffnet die Küchenschubladen. Nein. Sie geht zwei Schritte zur Spüle. Sieht hinein. Kann ihn
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