Tessa
Wohnzimmers auf dem Boden hockt und seinen iPod in die Bang-&-Olufsen-Anlage steckt. Er ist noch immer nackt. Sie betrachtet seinen durchtrainierten Körper. Er spürt ihren Blick, dreht seinen Kopf zu ihr und lächelt sie selbstbewusst an. Gitarrenklänge klingen aus den Boxen.
Langsam steht er auf, kommt auf sie zu. »Stell doch den Wein ab«, sagt er.
Sie zögert, entschließt sich aber, auf ihn zu hören. Nackt und mit leeren Händen steht sie in dem großen Raum. Er tritt auf sie zu und umfasst mit den Händen ihre Taille. Jens ist einen Kopf größer als sie, und sie legt vorsichtig den Kopf an seine breite Brust. Er küsst sie auf die Stirn und wiegt sie sanft zur Melodie. Sie hebt zaghaft die Arme und legt die Hände in seinen Nacken. Sie tanzen zur Musik. Alles ist unwirklich. Wie in einem Traum. Sie atmet den warmen Geruch seines Aftershaves. Es ist so schön, dass es sie traurig stimmt. Das Lied endet. Tessa bleibt stehen, doch seine Hände lösen sich nicht von ihrem Körper.
Sie reißt sich los, kann den Moment nicht länger ertragen, sie braucht etwas zu trinken und greift nach der Flasche und dem Glas. Am Wein nippend, geht sie zum Fenster, sieht hinaus auf die dunkle Straße. Sie fühlt sich sicher mit Jens, aber weiß, dass sie irgendwann wieder dort hinaus muss. Sie schiebt den Gedanken zur Seite und legt sich wieder auf die Couch. Lange Schatten an der Decke, die in rhythmischen Bewegungen tanzen, dazu ansteigende und abfallende Motorengeräusche, wenn ein Auto am Haus vorbeifährt. Schläfrig wischt sie mit dem Zeigefinger Kreise um den Rand des Glases, bis sie einen erfolglosen Versuch unternimmt, ohne sich aufzusetzen aus dem Glas zu trinken. Sie beugt den Nacken nicht genug, und der Wein läuft langsam an ihrer Wange entlang.
»Jens?«, fragt sie in den Raum hinein, ohne ihren Blick von der Decke zu lösen. »Hast du an mich gedacht?«
»Ja.«
»Jens?«, fragt sie wieder. »Hast du mich vermisst?«
»Ich habe an dich gedacht.«
»Aber nicht vermisst?«
Er lacht. »Nein, nicht vermisst.«
Tessa sieht in seine Richtung. »Könntest du trotzdem kurz sagen, du hättest mich vermisst?«
»Was würde das bringen?«
»Ich würde mich besser fühlen.«
»Geht es dir schlecht?«
»Ich weiß es nicht.« Sie versucht erneut zu trinken. Vorsichtiger. »Vielleicht geht es mir schlecht. Ich weiß es nicht. Ich glaube, im Moment geht es mir gut.«
Eine Träne läuft ihre Wange hinab. Sie starrt die Decke an, wartet auf die nächste Träne. Aber keine kommt. Das Schweigen im Raum nimmt eine bedrohliche Kraft an.
Sie dreht sich auf die Seite und zieht ihre Beine an. Stumm starrt sie ihn an.
»Du hast dich gar nicht verabschiedet.« Unterbricht er die Stille.
Die Worte hallen in dem leeren Wohnzimmer nach und dringen langsam in ihr Bewusstsein. Die Worte kommen ihr bekannt vor. Einsamkeit schwingt dabei mit. Oder ein Vorwurf. Sie kann den Ausdruck in seinem Gesicht nicht deuten.
»Du wolltest zum Golfen.«
Jens lacht. »Hast du Hunger?«
»Ja.«
»Wollen wir uns was bestellen?«
»Können wir rausgehen? In ein Restaurant?«
»Klar, komm, zieh dich an.«
Sie steht langsam auf, greift nach ihrem Kleid, das Jens ordentlich über die Couchlehne gelegt hat. Aus der Küche holt sie ihre Handtasche und greift im Flur nach den Schuhen. Sie geht ins Bad, schließt die Tür hinter sich. Betrachtet sich im Spiegel. Mit Wasser stylt sie ihre Haare. Den Pony schiebt sie wieder zum Seitenscheitel aus dem Gesicht. Sie kramt in ihrer Tasche nach dem Lippenstift und malt sich die Lippen rot an.
Das Klackern ihrer Absätze hallt von den Mauern der Altbauten wider. Sie hakt sich bei Jens unter, ihr Gang ist wacklig. Schweigend laufen sie den Weg zum Restaurant, das sich in einem Hinterhof versteckt. Sie kennt es nicht. Keine Erinnerungen. Jens hält ihr die Tür auf. Das Lokal erstrahlt im Kerzenschein. Ein Ober kommt und hilft Tessa aus ihrem ramponierten Trenchcoat. Sie setzt ein hochmütiges Gesicht auf, obwohl sie sich schämt. Sie werden an einen Tisch geführt. Gestärkte weiße Tischdecken. In Leder gebundene große Karten werden ihnen gereicht. Jens greift über den Tisch nach ihrer Hand.
»Such dir was aus, ich lade dich ein«, sagt er freundlich.
Sie lächelt ihn an, dann sieht sie in die Karte und wählt das teuerste Gericht.
Der Kellner bringt den Rotwein. Tessa trinkt einen Schluck und merkt, wie betrunken sie ist. Manchmal reicht ein einziger Schluck. Sie sieht in das Glas, schwenkt es
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