Tessa
ein starker Schmerz durchfährt ihren Kopf. Sie spürt ihr verknittertes Gesicht und schmeckt den schlechten Atem. Ihr Hals kratzt von zu vielen Zigaretten. Sie liegt nackt auf dem Fußboden, ihre Haut juckt, die feinen Härchen auf ihrem Körper haben sich aufgerichtet. Hastig steht sie auf. Ihr Herz hämmert. Sie lässt sich auf den Küchenstuhl fallen und versucht ruhig zu atmen und dabei nach Geräuschen aus der Wohnung zu lauschen. Hoffentlich hat Jens sie nicht nackt auf dem Fußboden schlafen gesehen. Sie schüttelt sich, ekelt sich vor sich selber. Vielleicht hat er sie doch dort liegen gesehen und fand ihren Zustand zu jämmerlich, um sie zu sich ins Bett zu holen. Doch in der Wohnung ist es ruhig, bestimmt schläft Jens noch. Sie sieht sich nach einer Uhr um, kann aber keine entdecken. Wahrscheinlich hat sie nicht länger als ein, vielleicht zwei Stunden geschlafen. Der Wodka auf dem Küchentisch lächelt sie unschuldig an, sie trinkt direkt aus der Flasche, um sich wieder ein wenig zu beruhigen und einen klaren Plan zu fassen. Sie muss hier raus, bevor Jens aufwacht. Vorher muss sie sich aber noch schütteln, weil der lauwarme Wodka ihre Magenschleimhäute ätzt. Mit den Armen umgreift sie ihren Bauch, tief gebeugt wartet sie darauf, dass der ziehende Schmerz vergeht und sich ihr Magen wieder beruhigt. Langsam zählt sie bis zehn und beißt dabei fest die Zähne zusammen.
Als der Schmerz kaum noch spürbar ist, richtet sie sich wieder auf und betrachtet mit schlechtem Gewissen den verdreckten Küchentisch. Der Aschenbecher quillt über mit ihren Kippen, und auch daneben hat sich die Asche verteilt. Klebrige Wodkapfützen bedecken den Tisch. Es riecht nach kaltem Rauch. Sie gibt sich einen kleinen Ruck und bückt sich nach ihrem Glas, das noch auf dem Boden steht, trinkt es leer. Sie muss kurz würgen, bevor sie versucht, ins Schlafzimmer zu schleichen, um ihre Schuhe und ihr Kleid zu suchen. Jens schläft auf der Seite und atmet tief und gleichmäßig. Sie betrachtet ihn einen kurzen Moment, reißt sich los und weg von dem Gedanken, sich einfach dazuzulegen, es würde nichts bringen. Im Flur zieht sie sich das Kleid über. Ihr Mantel liegt neben der Eingangstür. Sie greift sich ihre Schuhe und ihre Tasche, dabei fällt ihr die Handypackung runter. Der Karton poltert laut auf das Parkett und zerreißt die Stille. Sie hält vor Schreck den Atem an. Aus dem Schlafzimmer hört sie Decken rascheln. Sie muss schnell raus hier. Sie unterdrückt die aufkommenden Tränen. Schluckt schwer. Und reißt die Wohnungstür auf.
Hastig zieht sie Jens’ Wohnungstür hinter sich zu. Rennt ein Stockwerk tiefer und schlüpft in ihre hohen Schuhe. Sie schwankt auf den Absätzen. Sie muss sich am Treppengeländer festhalten, rutscht dennoch eine Stufe, kann sich gerade noch festklammern. Hängt am Geländer. Sie sieht sich um, doch Jens ist ihr nicht nachgelaufen, keiner sieht sie. Nur sie selber. Ekel. Sie setzt sich auf die Treppe und reibt sich den schmerzenden Knöchel. So schwer alles. Vorsichtig zieht sie sich am Geländer hoch und hangelt sich langsam hinab. Zu hohe Absätze. Wozu? Im Morgengrauen humpelt sie die Straße hinunter. Will nur endlich zu Hause sein. Sie läuft an einem geschlossenen Spätkauf vorbei, an dessen Wand gedrängt ein schmuddeliger Penner liegt, der sich mit seinen Armen schützend umschlingt. Er schläft. Neben sich hat er einen Einkaufswagen voll mit leeren Pfandflaschen stehen. Tränen laufen ihre Wangen hinab. Der Penner sieht so einsam aus. Wenige Autos. Als sie spürt, wie ein Schwall Sperma an ihren Oberschenkeln hinabläuft, hastet sie würgend zum Straßenrand. Sie zieht tief die Luft ein und atmet durch den Mund laut aus. Langsam verschwindet die Übelkeit. Warum nur hat sie kein Kondom benutzt? Sie starrt das ordentlich eingepackte alte Handy in ihrer Hand an, warum hat dieser Affe kein Kondom benutzt? Ihr ist so verdammt schlecht. Sie friert an den nackten Beinen. Nur sicher nach Hause kommen. Kein Vogel zwitschert. Der Morgen ist grau. Herbst in Berlin. Kahle Bäume am Straßenrand. Dreckige gelbe Blätter auf den Straßen und ständig das Gefühl, die Hundescheiße nicht gesehen zu haben. Langsam wird auch die Sonne schwinden. Die Tage werden gleichbleibend grau sein. So wird es endlose Monate gehen. Einen Fuß vor den anderen setzen. Roter Nagellack auf weißer Haut.
Im Flur streift Tessa ihren Mantel ab und lässt ihn zu Boden fallen. Sie sieht ihn einen Moment an und
Weitere Kostenlose Bücher