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Tessa

Tessa

Titel: Tessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Karlsson
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versucht normal zu klingen und nicht gleich loszuheulen.
    »Was machst du?«, fragt er.
    »Wie spät ist es?« Tessa richtet sich langsam in ihrem Bett auf und setzt sich gerade hin.
    »Halb acht.«
    Wahrscheinlich starrt er gerade auf eine seiner vielen Uhren, denkt Tessa und antwortet: »Ich arbeite.«
    »Was arbeitest du?«
    »Ich ordne meine Gedanken.«
    »Magst du herkommen? Deine Freundin ist auch da.«
    »Meine Freundin?«
    Ein Kratzen in der Leitung. »Wie heißt du noch mal?« Uwes Stimme, die nicht in den Hörer spricht. Eine weibliche Stimme im Hintergrund.
    »Magdalena, richtig.« Uwe spricht wieder in den Hörer. »Magdalena.«
    »Wieso meine Freundin?«, fragt Tessa verwirrt.
    »Jetzt mach es nicht so kompliziert«, antwortet Uwe, seine Stimme leicht gereizt. »Kommst du?«
    »Ich weiß nicht«, sagt Tessa zögerlich. »Ich bin, glaube ich, krank. Und du wohnst in Kreuzberg.«
    »Nimm dir ein Taxi.«
    »Ich hab kein Geld.«
    »Ich bezahl es dir.«
    »Echt?«
    »Nein, vielleicht doch nicht.«
    Tessa seufzt. »Nein?«, fragt sie enttäuscht.
    Uwe lacht laut. »Doch, komm schon.«
    »Okay, bis gleich.«
    Es ist dunkel draußen. Das Licht der Straßenlaternen spiegelt sich in den Pfützen. Sie läuft zum Taxistand. Tessa steigt in das letzte wartende Taxi, der Fahrer murrt irgendwas, sie ignoriert ihn und nennt ihm Uwes ­Adresse.
    »Wir sind da.«
    Tessa zuckt kurz zusammen und blickt nach vorne zum Taxifahrer. Sein dicker Körper sitzt geradeaus gerichtet, sein kurzer Hals hat sich zur Seite gedreht, nur das Weiß seines rechten Augapfels schaut sie an. Angeekelt dreht sie sich weg und schaut aus dem Fenster.
    »Warten Sie kurz, ich muss mir das Geld holen.«
    Der Fahrer brummt missmutig vor sich hin. Keine Spur von Freundlichkeit in seiner alten, zerfahrenen rechten Gesichtshälfte. Vielleicht sieht er von vorne netter aus. Tessa steigt aus. Klingelt bei Uwe. Keine Antwort. Sie klingelt erneut, ehe sie sich wieder dem Taxifahrer zuwendet, der seine Haltung nicht geändert hat, aber nun kann sie sein ganzes Gesicht sehen. Sie zuckt entschuldigend die Schultern, ehe sie sich schnell wieder wegdreht. Erneut klingelt sie. Warum macht Uwe nicht seine verdammte Tür auf? Weil er zu langsam ist, denkt sie genervt. Und weil er sicherlich schon betrunken ist. Vielleicht sollte sie besser wieder gehen. Plötzlich fallen ihr die fünfzig Euro ein, die sie sich beim letzten Mal von seinem Tisch genommen hatte. Sie spürt das heiße Blut durch ihre Adern fließen. Und dann fällt ihr auch der Geruch des Spermas wieder ein. Schnell gehen. Aber was macht sie dann bloß mit dem Taxifahrer?
    »Tessa!«, donnert Uwes Stimme von oben herab und reißt sie aus den Gedanken. Ein lederner Schlüssel­beutel zischt dicht vor ihrem Gesicht vorbei und landet vor ihren Füßen.
    »Na, toll«, murmelt Tessa vor sich hin, während sie sich nach dem Beutel bückt und ihn von der nassen Straße aufhebt. Langsam erhebt sie sich und wischt ihre feuchten Fingerspitzen am Mantel ab. Wenn im Beutel auch noch das Rückgeld ist, dann ist es ein Zeichen, dass sie wieder zurückfahren soll, denkt sie und sieht hoch zu den Fenstern, aber Uwe kann sie nicht entdecken. Fremd und bedrohlich wirkt das Haus. Sie fühlt sich schwach in den Knien. Langsam geht sie zum Taxi zurück. Der Taxifahrer steht jetzt neben dem Taxi, und seine dicke Statur wirkt deprimierend. Verloren hängt er in seiner schwarzen Lederjacke.
    »Zehn zwanzig!«, brüllt er ihr entgegen, dabei wirbelt er mit der Taxiquittung. »Ick hätte das Taxameter laufen lassen sollen. Das Warten bezahlt mir ja keen Mensch.«
    Langsam umrundet sie das Fahrzeug, kramt dabei in der Lederbörse. Sie fischt einen klein gefalteten Zwanzig-Euro-Schein heraus. Das ist nicht die Hälfte, aber fast, denkt sie verwirrt. Sie schaut gedankenverloren auf den Geldschein. »Watten nu?«, herrscht er sie an. Und sie hört sich zwölf Euro sagen, obwohl sie ihm eigentlich kein Trinkgeld geben wollte. Der Fahrer greift nach dem Schein, sagt kein »Danke« und drückt ihr mit seinen dicken, feuchten Fingern das Wechselgeld in die Hand. Niedergeschlagen dreht sie sich um und geht langsam zur Haustür. Sie benutzt den Schlüssel aus dem Beutel, er funktioniert.
    Die Wohnungstür von Uwe ist nur angelehnt. Vorsichtig schiebt Tessa sie auf und tritt in den dunklen Flur. Ihre Augen müssen sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Vielleicht ist es doch noch nicht zu spät umzukehren. Sie könnte den Weg laufen. Sie

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