Tessy und die Hörigkeit der Malerin - 1
hab’s für dich getan. Für uns, verstehst du?“ Er stand auf und streckte eine Hand nach Philipp aus. „Sag, dass du mich verstehst. Bitte!“
Philipp ließ die Hände sinken und wich zwei Schritte zurück. Er schüttelte den Kopf. „Du bist ja vollkommen irre! Fass mich bloß nicht an!“
Simon atmete schwer. „Sag das nicht noch mal! Das habe ich nicht verdient. So kannst du nicht mit mir reden. Nach allem, was ich für dich, für uns getan und gewagt habe.“
Philipp schüttelte den Kopf. „Und ob ich das noch mal sage – du bist völlig durchgeknallt! Warum habe ich das nur nicht eher gemerkt? Und tu mir einen Gefallen, Kumpel: Mach jetzt bloß nicht auf sentimental!“
„Sentimental?“, wiederholte Simon fassungslos.
„Ja. Und wie. Sentimental und schwul. Das ist ja widerlich!“
Simon blinzelte. Irgendwas brach in ihm entzwei, während es für einen Moment ganz still wurde. Dann schlug er so schnell und hart zu, dass Philipp keine Möglichkeit einer Gegenwehr blieb. Er kippte wie gefällt nach hinten und knallte mit dem Nacken auf den Rand des Kassentresens. Als er zu Boden stürzte, verdrehten sich seine Augen nach oben. Dann war es still.
Was für wunderschönes Gesicht. Und so weich auf einmal. Simon bückte sich nach einem endlosen Moment zu ihm herunter und streichelte es verträumt.
Simon musste es alleine zu Ende bringen. Aber jetzt würde Charlotte für alles bezahlen. Und es würde ein verdammt hoher Preis werden.
16
Kurz nach dem Telefonat mit Paula war seine Schicht zu Ende. Er hatte sich geschworen, nie wieder nach Schmargendorf zu fahren. Er tat es trotzdem.
Als er den Antiquitätenladen passierte und langsam die Straße entlangfuhr, registrierte er mehrere geparkte Autos. Aber Paula war nirgendwo zu entdecken. Mark stellte seinen Roller am Kiosk ab und schlenderte zu Fuß und mit scheinbarer Gemütsruhe die Straße auf und wieder ab. Die Angst saß wie ein giftiger Zwerg in seinem Bauch. Mark hörte nicht auf sein feiges Gekreische. Er versuchte es zumindest.
Ein kleiner Renault stand sehr günstig, um das Geschäft im Auge zu behalten. Mark erkannte den Wagen - es musste der von Tessy sein. Das Seitenfenster war geöffnet. Merkwürdig. Mark warf einen Blick in den Innenraum. Nichts Auffälliges. Er ging um den Wagen herum, bückte sich. Dort lag etwas. Er angelte danach. Scheiße, dachte er, ein Handy. Er überprüfte die Kontakte des Geräts. Es war eindeutig Paulas Mobiltelefon. Hier ist was schief gegangen. Der Giftzwerg geiferte.
Mark lief mit zitternden Händen die Straße ein ganzes Stück in die andere Richtung. Am Ende fiel ihm Simons BMW auf. Er ging langsam näher und fasste auf die Motorhaube. Sie war noch mäßig warm. Das hieß gar nichts Gutes.
Mark nahm Paulas Handy und versuchte Tessy zu erreichen. Fehlanzeige. Dort meldete sich nur die Mobilbox. Das gleiche Ergebnis erzielte er, als er Charlottes Nummer anwählte.
Er grübelte eine volle Minute. Dann rief er die Polizei an.
Die Beamten trafen erstaunlich zügig ein. Nachdem er in Kurzform von seinen Befürchtungen berichtet hatte, verschafften die Polizisten sich unverzüglich Zutritt zum Haus.
Mark atmete tief durch und sah eine Weile dem beherzten Agieren der Beamten zu. Aus reiner Neugierde schlenderte er schließlich noch einmal zu Simons BMW. Ein wunderschöner Wagen – mindestens zwanzig Jahre alt – auf Hochglanz polierte Felgen, Mahagonilenkrad, noch keine Zentralverriegelung. Mark schluckte und fasste nach der Kofferraumhaube. Sie war nicht abgeschlossen. Simon musste es sehr eilig gehabt haben.
Mark warf einen schnellen Blick in den Kofferraum. Der lederne Werkzeugkoffer gefiel ihm. Notfalls konnte man ihn bei eBay verticken.
Mark spazierte mit dem Koffer langsam zum Kiosk zurück, setzte sich auf seinen Roller und wartete, bis er von weitem Tessy, Paula und Charlotte erkennen konnte, die von Polizisten aus dem Haus begleitet wurden. Bleich und zittrig, aber äußerst lebendig. Als kurz darauf Simon und zwei weitere Typen, einer davon ziemlich groß gewachsen, in Handschellen abgeführt wurden, stülpte er seinen Helm über und brauste davon.
Zum ersten Mal seit langer Zeit leichten Herzens.
17
Ihre Handgelenke waren wund und aufgescheuert, doch der Strick hatte sich kaum gelockert. Als der Film zu Ende war, herrschte plötzlich drückende Stille, und Tessy hörte Charlotte leise wimmern. Das Geräusch war kaum zu ertragen. Ihre eigene Angst war inzwischen so groß
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