Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tessy und die Zärtlichkeit des Kommissars

Tessy und die Zärtlichkeit des Kommissars

Titel: Tessy und die Zärtlichkeit des Kommissars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Wolf
Vom Netzwerk:
eine Aspekt. Der andere betraf die Andeutung der Krankenschwester – in Anbetracht des durchsuchten Hauses schien sie nicht aus der Luft gegriffen zu sein, was bedeuten würde, dass Moritz Tod, vielleicht sogar seine Lebensmittelvergiftung, einen ganz anderen Hintergrund haben könnte. Und in eine solche Geschichte wollte Anita nicht hineingezogen werden – sie wollte nicht einmal darüber nachdenken, denn allein das machte ihr schon Angst. Aber warum hatte sie dann die Hefte überhaupt aus ihrem Versteck geholt? Damit sie niemand fand, den sie nichts angingen, und weil die Tagebücher die letzte Verbindung zu Moritz darstellten. Eine ganz besondere Verbindung. Durfte sie die einfach vernichten? Oder war genau das ihre Aufgabe?
    Dann hatte die Frau aus Berlin angerufen. Jemand hatte begonnen, die Fühler auszustrecken – wer immer das auch war. Über die wirklichen Interessen der Anruferin konnte sie nicht urteilen, aber natürlich sagte ihr der Name Patrick Riemer etwas. Sie hatte selbst mit ihm telefoniert, und eine Postsendung war an ihn adressiert gewesen. Auch er war tot. Anita hatte sich vorgenommen, die Tagebücher noch am selben Abend zu vernichten. Ohne einen einzigen Blick hineinzuwerfen. Danach sollte ihr normaler Alltag wieder beginnen. Sie hatte genug zu tun und musste den Kopf frei bekommen. Und das Herz. Es war Mai, die Touristen strömten auf die Insel, obwohl das Wetter nicht besonders schön war. In Deutschland war es wärmer und sonniger. Ironischerweise.
    Aber als sie dann mit der dicken Lederhülle in dem kleinen Holzverschlag im Olivenhain hinter ihrer Finca stand, Feuerzeug und Spaten in der Hand, um alle Spuren gründlich zu beseitigen, brachte sie es doch nicht übers Herz und verstaute das Bündel in einer zerbeulten Metallbox, in der sie Arbeitshandschuhe aufbewahrte. Die Box wanderte auf das oberste Ablagebrett neben Dosen mit Pflanzenschutzmitteln, Eimern und allerlei Kleinwerkzeug. Hier störten die Hefte niemanden, und keiner würde ausgerechnet an diesem Ort suchen. Warum auch? Was sollte schon Interessantes an den Tagebüchern eines Frührentners sein, der die letzten Monate seines Lebens auf Mallorca verbracht hatte?
    Anita schlief unruhig in dieser Nacht und träumte wirres Zeug. Um halb fünf stand sie auf und kochte sich eine Tasse Kräutertee und einen Espresso. In dieser Reihenfolge. Sie schlürfte den Tee und trat danach mit dem Kaffee vor die Tür, wo sie unter der überdachten Veranda stehen blieb und das Erwachen des Tages beobachtete. Blassviolette Streifen färbten den Horizont. Die Luft schmeckte kühl und grün und dezent salzig. Sie liebte es immer noch, dieses Aroma, nach all den Jahren. Und immer noch bekam sie Herzklopfen, wenn sie ans Meer fuhr und über die Klippen hinunter in die Brandung blickte, wo sich die See schäumend überschlug.
    Zehn Minuten später machte sie sich auf den Weg in den Holzverschlag. Moritz hatte ihr sein Versteck natürlich nicht ohne Grund verraten; dennoch war sie davon überzeugt, dass sie ihre Entscheidung bereuen würde. Andererseits hatte die Sache bereits so viel Unruhe in ihr ausgelöst, dass sie einfach etwas tun musste; und da sie es nicht geschafft hatte, die Tagebücher zu vernichten, blieb nur noch eins: Sie musste sie lesen. Und wer weiß: Vielleicht war sie hinterher nicht nur bestens darüber informiert, was Moritz in den letzten Jahren erlebt, gedacht, gefühlt hatte, sondern es stellte sich auch heraus, dass seine Berichte gänzlich privater und harmloser Natur waren und sie sich völlig unnötig Sorgen gemacht hatte.

    Zwei Stunden später sagte Anita ihre Vormittagstermine ab, mittags informierte sie ihr Büro, dass sie an diesem Tag nicht mehr käme. Als das Telefon am späten Nachmittag klingelte, schrak sie heftig zusammen und war versucht, nicht an den Apparat zu gehen. Dann entdeckte sie auf dem Display die Rufnummer ihrer Mutter aus Helmstedt. Anita war selten so erleichtert gewesen, von ihrer Mutter zu hören, und darum brauchte die auch gar nicht pampig zu werden – was sie durchaus gerne tat –, um der Tochter die Zusage zu entlocken, dass sie selbstverständlich zu ihrem 80. Geburtstag anreisen würde, egal aus welcher Ecke der Welt, und gerne schon einige Tage vorher, um bei den Vorbereitungen entsprechend mit anpacken zu können. Es genügte die übliche Ruppigkeit, die Anita noch nie vermisst hatte, seit sie in Spanien lebte, die sie aber an diesem Tag seltsam tröstete.

Kapitel 13
    Als Tessy am

Weitere Kostenlose Bücher