Test: Phantastische Erzahlungen
eigenen Blutes hörte – wie damals im »Irrsinnigen Bad«. Das »Bad« konnte man allerdings jederzeit verlassen …
Langner stieg herunter und bereitete das Essen. Er tat dies so leise und so geschickt, daß alles fertig war, als Pirx in die Küche kam. Sie sprachen kaum ein Wort. »Bitte das Salz!« – »Ist Brot in den Dosen?« – »Morgen müssen wir eine frische aufmachen.« – »Tee oder Kaf ee?«
Das war alles. Pirx paßte nun diese Einsilbigkeit. Was aßen sie eigentlich? War es das dritte Mittagessen, das vierte – oder etwa schon das Frühstück des nächsten Tages? Langner sagte, er müsse die belichteten Klischees entwikkeln. Er ging nach oben. Pirx hatte nichts zu tun, und er wußte, weshalb. Sie hatten ihn nur mitgeschickt, damit Langner nicht allein war. Von Astrophysik, von kosmi schen Strahlen hatte er keine Ahnung, und Langner war viel zu beschäf igt, um ihn in der Bedienung des Astrographen zu unterweisen. Er hatte beim »Bad« den ersten Platz errungen, und die Psychologen behaupteten, er könne nicht wahnsinnig werden. Sie verbürgten sich für ihn. Er war also gezwungen, zwei Wochen Nacht, zwei Wochen Tag auszuhalten. Gott weiß, worauf er warten und worauf er achten sollte.
Diese »Aufgabe«, diese »Mission«, die ihm noch zwölf Stunden zuvor wie ein unwahrscheinliches Glück erschienen war, zeigte ihm nun ihr wahres Gesicht – das Gesicht einer gestaltlosen Leere. Wovor sollte er Langner und sich selbst schützen? Was für Spuren sollte er suchen? Und wo? Glaubten sie im Ernst, er könne etwas entdecken, was die glänzendsten Spezialisten übersehen hatten – Menschen, die den Mond seit Jahren kannten? Er war doch ein Idiot im Vergleich zu ihnen!
Pirx saß am Tisch. Er wußte, daß das Geschirr abgewaschen werden mußte, aber er rührte sich nicht. Er wußte auch, daß es darauf ankam, rasch wieder den Hahn zuzudrehen, denn Wasser war kostbar. Es wurde in Form von gefrorenen Blöcken hergebracht und in einer ZweieinhalbKilometer-Parabel-Bahn in den Kessel zu Füßen der Station geschossen. Das kostbare Naß durf e nicht vertropfen.
Aber Pirx rührte sich nicht. Seine Hand lag schlaf auf der Tischplatte. Er hob sie nicht. Sein Kopf war heiß und leer. Finsternis und Schweigen umgaben die stählerne Nußschale der Station. Er rieb sich die Augen – sie brannten, als habe jemand Sand hineingestreut. Nach einer Weile erhob er sich. Er tat dies so schwerfällig, als habe sich sein Gewicht verdoppelt. Er trug die schmutzigen Teller zum Spülbecken, warf sie hinein, daß es schepperte, und drehte den Warmwasserhahn auf. Während er sie von den erstarrten Fettresten säuberte, lächelte er über seine einstigen Träume. Sie waren auf dem Wege zum Mendelejew-Kamm von ihm abgefallen und so weit zurückgeblieben, daß sie nun lächerlich und fremd anmuteten, so fremd, daß er sich ihrer schämte.
Langner blieb immer derselbe – man konnte einen Tag oder ein Jahr mit ihm verbringen, ohne daß er sich änderte. Er arbeitete gern und regelmäßig. Niemals zeigte er Hast. Er hatte keine Laster und keine Schrullen. Wenn man gezwungen ist, mit einem Menschen längere Zeit auf engstem Raum zu leben, dann neigt man leicht dazu, sich über die geringste Kleinigkeit aufzuregen. Gereizt stellt man fest, daß der andere sich viel zu lange unter der Dusche aufhält, daß er sich weigert, Büchsen mit Spinat zu öf nen, weil er keinen Spinat verträgt, daß er sich nicht regelmäßig rasiert und mit seinen Bartstoppeln ungepf egt aussieht oder daß er sich viel zu of rasiert und dauernd vor dem Spiegel Grimassen schneidet … Langner aber bot ihm keinen Anlaß. Er aß alles – wenn auch ohne besonderen Appetit –, er hatte keine Launen, und er wusch ab, wenn es notwendig war. Über seine Arbeit verlor er kein Wort, aber wenn Pirx ihm Fragen stellte, antwortete er bereitwillig. Er mied Pirx nicht, drängte sich ihm aber auch nicht auf. Und eben diese Neutralität hätte Pirx vielleicht geärgert, zumal Langner gar nicht mehr so heldenhaf wirkte wie am ersten Abend. An diesem ersten Abend hatte Pirx ihn bewundert – im Grunde nicht wegen des »Heldentums«, sondern wegen der stoischen Ruhe des Wissenschaf lers.
Dieser erste Eindruck hatte sich jedoch verf üchtigt. Pirx sah in Langner, dessen Gesellschaf ihm aufgezwungen war, lediglich einen eintönigen Menschen, obwohl er nicht sagen konnte, daß dieser Mensch ihn langweilte. Er, Pirx, hatte vorläuf g mehr als genug zu
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