Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)
Erzähl mir nichts von Trieben. Ich will mich nicht verbiegen. Und ganz bestimmt werd ich mich noch mal in dich verlieben.« Janis macht eine kurze Pause und brüllt dann:
»Verpiss Dich. Ich weiß genau, ich vermiss dich.
Egal, verpiss Dich! Du weißt genau, ich vermiss dich.«
Beeindruckt starren die beiden ihren Lehrer an. Janis grinst stolz. »Das ist der Deutsch-Unterricht in Lettland.« Seine beiden Schüler lernen, dass es in der deutschen Umgangssprache Bräute nicht nur auf einer Hochzeit gibt, wie man rumlabert und was eine miese Schlampe ist. Giorgio notiert sich alle Floskeln in einem Vokabelheft. Sicher ist sicher, die Ausdrücke kann er bestimmt irgendwann gut gebrauchen.
Nach »Verpiss Dich« ist »Warum?« an der Reihe. »Nur für den Kick, für den Augenblick«, rappt Janis. Schließlich landen sie bei »Ich find’ dich scheiße«. Die beiden Schüler lachen, den Titel haben sogar sie kapiert. »Schwachsinn«, »Ne Riesenwelle machen« oder »auf’n Strich gehen«. Je schmutziger, desto besser. Madeleine und Giorgio sind begeistert, die Fahrt nach Hamburg vergeht wie im Flug.
»Noch ein Lied«, betteln die beiden. Doch Janis will partout kein Song von Tic Tac Toe mehr einfallen. Das gibt’s doch nicht. Dann fängt er plötzlich an, laut zu lachen. Gerade ist ihm eingefallen, was für Songs er im Deutschunterricht in der Oberstufe gelernt hat. »Also gut«, sagt er. »Seid ihr bereit für das lettische Deutsch-Abitur?« Die beiden nicken. »Gut, ich singe, und ihr müsst mir sagen, von wem das Lied ist.« Janis räuspert sich:
»Wer zu Lebzeit gut auf Erden,
wird nach dem Tod ein Engel werden.
Den Blick gen Himmel fragst Du dann,
warum man sie nicht sehen kann«
Janis gibt sich alle Mühe, dass sich seine Stimme so düster wie möglich anhört. Doch Madeleine und Giorgio kommen nicht drauf. Immerhin, Giorgio meint, das Lied schon mal gehört zu haben. Aber von wem? Keine Ahnung. »Mann, die Gruppe kennt doch jeder!« Janis kann es nicht fassen, dass die beiden nicht auf die Lösung kommen. Eine Chance will er ihnen noch geben. Die zweite Strophe dürfen sie noch hören. »Aaaaaaaa«, macht Janis. Seine Stimme soll jetzt so hoch wie die von einem kleinen Mädchen klingen, deshalb muss er erst den richtigen Ton finden.
»Erst wenn die Wolken schlafen gehen,
kann man uns am Himmel sehen,
wir haben Angst und sind allein.«
Dann brüllt Janis wieder mit tiefer Stimme:
»Gott weiß, ich will kein Engel sein.«
»Ah«, sagt Giorgio. »Das ist Rammstein.« Ganz genau. Deutsche Schulkinder müssen in jeder Deutsch-Klausur bis zum Erbrechen Gedichte von Andreas Gryphius oder Hugo von Hofmannsthal analysieren, in Lettland hingegen interpretieren sie die Texte von Rammstein. Überhaupt, Deutsch lernen mit Songs – Janis findet den Unterricht viel zeitgemäßer als mit jahrhundertealter Poesie.
Einen Song gab es, den hat aber nicht mal ihr Deutschlehrer akzeptiert. Wie üblich musste Janis dem Lehrer den Liedtext vorher vorlegen. Wieder Rammstein. Der Lehrer überflog die Lyrics, schüttelte den Kopf und zerriss den Zettel.
Damals war Janis sauer, aber heute kann er schon nachvollziehen, warum der Lehrer damals den Song partout nicht verwenden wollte. Sein Refrain lautet:
»Bück Dich. Befehl ich Dir.
Wende Dein Antlitz ab von mir.
Dein Gesicht ist mir egal.
Bück Dich. Noch einmal.«
»Wir werden zügig in München sein.« Das sind Eriks Worte am Telefon. Toll, denkt sich Johanna, dann kann sie sich abends noch mit einer alten Freundin treffen. Doch nach und nach beschleichen sie Zweifel. Was soll denn »zügig« heißen? Ist Erik vielleicht ein Raser? Klingt ganz danach. Aber andererseits hört er sich am Telefon ganz nett an. Mhm. Wird schon schiefgehen …
Fröstelnd steht sie am Treffpunkt in der Nähe des Berliner Funkturms. Plötzlich hält ein schwarzer Porsche 911 direkt vor ihr. Lässig lässt der Fahrer das Fenster auf der Beifahrerseite runter. »Bist du Johanna?«, fragt er. »Äh, ja.« Das kann jetzt nicht wahr sein. Johanna ist bedient. Wie kommt denn ein Milchbubi mit Lacoste-Shirt, aufgestelltem Kragen und Sakko zu so einem geilen Auto? Der Typ ist Mitte 20, der hat in seinem Leben sicher nicht so viel verdient, dass er sich einen Porsche leisten kann. Von Beruf Sohn wahrscheinlich, und heute darf er mal Papis Schätzchen ausfahren. So ein Schnösel.
Aber ganz abgesehen von dem Typ: Er fährt ein klasse Auto. Noch nie ist Johanna in einem Porsche mitgefahren oder
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