Teufel in High Heels
»Hab ich auf einer Springsteen-Fansite gefunden. Muss ich Viv unbedingt zeigen.« Und weg war sie.
Wieso war mir bis jetzt nie so richtig aufgefallen, dass diese Tusse einen abgrundtiefen Sprung in der Schüssel hatte? Monatelang hatte sie mich keines Wortes gewürdigt - und ich immer nur gedacht, dass sie eben die klassische Zicke war. Erst jetzt sah ich in voller Schärfe, wie die Dinge eigentlich lagen: Lulu tickte nicht richtig, Vivian tickte nicht richtig, und in ihrer Anstalt hatten die Insassen das Sagen.
»Hallo, Claire«, kam es leise von Sonny. Er musste unmittelbar nach mir eingetroffen sein und hatte die Jacke noch über dem Arm, als gedächte er, im nächsten Augenblick wieder zur Tür hinaus zu verschwinden.
Er war mir auf Anhieb sympathisch gewesen, als ich ihn bei einem Frühstück für die Neuen kurz nach meinem Einstieg bei Grant Books kennenlernte. Obwohl wir in der Nahrungskette von Mather-Hollinger nicht weiter voneinander hätten entfernt sein können, hatten wir sofort instinktiv zusammengefunden. Niemand wäre je darauf verfallen, dass ein so bodenständiger und zugänglicher Typ wie er die einflussreichste Position bei einem führenden Verlagsunternehmen innehatte. Er maß gerade mal einsdreiundsechzig, trug einen Bürstenschnitt und eine Hornbrille und machte nie viel von sich her.
»Sie sind von alldem hier offenbar ebenso peinlich berührt wie ich«, raunte er mir zu.
Ich wusste nicht recht, was ich antworten sollte. Wenn es Sonny bewusst war, wie lächerlich und grundverkehrt diese Party war, wieso hatte er sich nicht dagegengestemmt? Er war Vivians Chef - wenn irgendwer sie in Schach halten konnte, dann er.
»Ich kann’s einfach nicht fassen«, sagte ich. In einem schummrigen Eck hielt die Autorin vor einer kleinen Gruppe soeben einen Workshop zum Thema »Der perfekte Blowjob« ab. Mary aus der Honorarabteilung machte sich Notizen auf einem gelben linierten Blatt. Einem unserer Vertriebsvertreter wurde ein Lapdance aufgezwungen. Zeuge von alldem zu sein, war besonders unangenehm, wenn man neben dem Geschäftsführer des Verlags stand.
Sonny schüttelte bekümmert den Kopf. »Wem sagen Sie das«, erwiderte er. Ich empfand Mitgefühl für ihn. Ja, er war ein Feigling - aber er wusste es, und das war die schlimmste Strafe.
Und wir waren alle ebensolche Feiglinge wie er. Ich wollte
meinen Job nicht verlieren, und Sonny wollte den größten Dukatenesel des Unternehmens nicht verärgern. Schließlich erbrachte Grant Books fast ein Drittel des Gesamtumsatzes von Mather-Hollinger. Für einen von insgesamt zwölf Imprints war das ein nicht unbedeutender Beitrag - Vivian erwirtschaftete, rein finanztechnisch gesprochen, das Vierfache ihres Gewichts. Infolgedessen sah das Unternehmen über alles hinweg, was sie daneben zu einer schweren Belastung machte - es regelte die Prozesse gegen erzürnte Ex-Mitarbeiter, ergriff bei jedem Streitfall für sie Partei und veranstaltete Buchpräsentationen in den unpassendsten Lokalitäten, die die Stadt zu bieten hatte.
»Sonny, Baby!«, rief Vivian dröhnend und kam mit schwingenden Hüften auf uns zu. »Ist das die heißeste Party, die Sie je erlebt haben, oder was? Wir bringen Schwung ins Verlagsgeschäft, Baby! Wir bringen’s voll!« Sie war der strahlende Triumph in Person. Der straffe Pferdeschwanz, zu dem sie ihr rotblondes Haar hochgebunden hatte, verlieh ihrem Gesicht einen permanent erstaunten Ausdruck. Und sie hatte das übliche klassische Bürokostüm gegen ein knappes rotes Spitzenmieder, eine Federboa, Netzstrümpfe und schenkelhohe Stiefel aus schwarzem Lackleder eingetauscht. Alles in allem eine reichlich irritierende Kombination für eine Verlagschefin mittleren Alters.
»Was genau bringen wir voll?«, murmelte er. Ich sah zu Vivian. Ihr aufdringliches Grinsen verschwand.
»Was meinen Sie damit?«, höhnte sie und verzog den Mund. »Die Party ist fabelhaft! Ein Riesenerfolg! Wo ist Betsy? Sie fände es bestimmt toll!« Betsy, Sonnys Gattin, war eine zugeknöpfte, ultrakonservative Frau, die bei Buchvorstellungen meist für sich - oder an Sonnys Seite - blieb. Ich
konnte mir beim besten Willen niemanden vorstellen, der in einem Stripteaseclub weniger in seinem Element gewesen wäre als sie.
»Sie wartet zu Hause sicher schon mit dem Abendessen auf mich«, sagte Sonny, verabschiedete sich rasch von uns und trottete zum Ausgang.
»Der steht aber unter der Knute!« Vivian lachte verbittert. » Meine Frau wartet zu Hause mit dem
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