Teufel ohne Gnade Kommissar Mor
sich mit seinem unabwendbaren Schicksal abgefunden. Er war nun einmal auf frischer Tat ertappt worden und wußte, was ihm bevorstand. Was nützte ihm da noch die Preisgabe seines Auftraggebers, den die Yard-mens ihm mit allen Raffinessen zu entlocken versuchten. Sein Mund blieb verschlossen. Aber wie lange noch? —
*
Es fehlten noch wenige Minuten bis acht Uhr abends, da rollte Ivry Dellingers gepflegte Preston-Limousine vor dem FIXED STAR-CLUB vor. ,Wie lange bin ich nun schon nicht mehr hiergewesen', dachte er ein wenig wehmütig und ließ seinen Blick über den geräumigen Parkplatz und die lichtprotzende Vorderfront des Clubhauses gleiten. Viel hatte sich trotzdem nicht verändert, stellte er fest und nahm sich vor, doch wieder öfters unter Menschen zu gehen. Obwohl Ivry Dellinger in dem Alter war, wo andere Boys sich hin und wieder einen vergnügten Abend mit oder ohne Frau zu machen pflegten, kannte er dieses schon seit Jahren nicht mehr. — Nicht etwa, daß er ein Sonderling oder gar Abstinenzler geworden wäre. Im Gegenteil, in seinen Adern pulsierte ein Blut, daß sich sehr wohl zu erhitzen wußte. Es mußte jedoch die Richtige sein. Ivry Dellinger spürte an diesem Abend zum ersten Male wieder, wie sehr sich doch sein Leben in den letzten Jahren verändert hatte, und daß es sich nur zwischen Arbeitsplatz und Wohnung abgespielt hatte. Nun, das sollte von jetzt an wieder etwas anders werden, nahm er sich vor.
„Hallo, Sie Träumer!" wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Hinter ihm stand Kommissar Morry. Ivry Dellinger hätte den Kommissar kaum wiedererkannt, wäre es nicht die markante Stimme gewesen, die schon nach ihrem ersten Zusammentreffen einen so nachhaltigen Eindruck in ihm hinterlassen hatte. Auch sonst, sah so ein Mann aus, dessen Pflicht es ist, blutrünstige Bestien zur Strecke zu bringen? Ivry Dellinger mußte sich eingestehen, daß er, hätte er nicht schon vorher das Vergnügen gehabt, diesen Mann kennenzulernen, niemals in dem elegant gekleideten Gentleman vor ihm einen der berühmtesten und erfolgreichsten Männer des Scotland-Yard vermutet hätte. So war es! Wer Kommissar Morry nicht persönlich kannte, lief Gefahr, in ihm einen der Wohlhabendsten der Stadt zu sehen. Morrys ganzes Geheimnis aber lag darin, daß er sich mit Geschmack und Eleganz zu kleiden wußte.
Das gleiche konnte man ebenso von Ivry Dellinger sagen, der jetzt Morrys Händedruck herzlich erwiderte. „Ich freue mich, Dellinger, daß Sie zu Ihrem Wort stehen", begrüßte ihn Kommissar Morry.
„Nicht der Rede wert, Kommissar! — Im Gegenteil, es ist mir ein Vergnügen, mit einem so berühmten Manne wie Sie einige Stunden zu verplaudern. Dabei ist es mir ganz gleich, an welchem Ort Sie die Unterhaltung wünschen."
Kommissar Morry winkte lächelnd ab. „Nun dann, Dellinger! Machen wir uns auf und begeben wir uns auf das glatte Parkett der Londoner Hautevolee."
Es hatte äußerlich den Anschein, als wenn sich wirklich Londons Hautevolee in den Räumen des sündhaft teuren FIXED STAR-CLUB versammelt hätte. Aber waren darum alle Westen der hier anwesenden Männer so sauber und blütenweiß wie ihre Frackhemden? Keiner wußte es besser als Kommissar Morry, daß es bei einigen Gästen des Clubs nur die Fassade war, die sie so untadelig erscheinen ließ. Vielmehr hoffte er hier den Mann zu finden, den er für den Mord an dem alten Lord verantwortlich machen konnte. Über spiegelglatten Boden geleitete sie der Empfangschef zu einem freien Tisch. Obwohl Kommissar Morry manches Auge auf sich gerichtet sah, schritt er in weltmännischer Manier neben Ivry Dellinger her und unterhielt sich in gedämpftem Ton mit diesem. An manchen Tischen steckte man die Köpfe zusammen und tuschelte sich etwas zu. Zwei der Anwesenden schienen es nach Kommissar Morrys Erscheinen plötzlich sehr eilig zu haben — und verdrückten sich stillschweigend. Leise lächelte Kommissar Morry vor sich hin und tat so, als merke er gar nicht, daß er sie als alte Bekannte bereits erkannt hatte. Sie waren es nicht, die sein Interesse im Augenblick besaßen, und so ließ er sie ungeschoren ziehen. Nachdem ihnen das Gewünschte serviert worden war, warteten sie angeregt plaudernd auf den Auftritt der Frau...
Belinda Craffield befand sich zu dieser Zeit auftrittsbereit in ihrer Garderobe. Obwohl sie einen ganzen Tag außerhalb des Steinmeeres der Stadt verbracht hatte, war ihre Gesichtsfarbe nicht so frisch wie an all den Tagen, an denen sie in
Weitere Kostenlose Bücher