Teufel - Thriller
Diaboli.
Wenn nur der Verkehr nicht gewesen wäre… Wie in allen italienischen Großstädten begann bereits in den frühen Morgenstunden der lautstarke Kampf um die besten Parkplätze, die schnellste Fahrspur und den Vorrang in den Seitenstraßen. Selbst nach fünf Jahrzehnten in der Stadt am Tiber hatte sich Bertucci nicht daran gewöhnen können. So zog er auch diesmal mit einer Grimasse der Verzweiflung das Kissen über den Kopf, als ein Kleinlaster mit minutenlangem Gehupe seinen angestammten Parkplatz reklamierte, der von einem unvorsichtigen Chauffeur der nahe gelegenen nigerianischen Botschaft besetzt worden war.
»Jetzt hör schon auf zu hupen, du Idiot!«, stöhnte Bertucci erbost, als nach drei Minuten die Fanfare unten auf der Gasse immer noch ertönte. Er warf verzweifelt das Kissen aus dem Bett und stand auf. Schnurstracks lief er, nur mit dem Pyjama bekleidet, zum offenen Fenster und beugte sich hinaus. »Je lauter die Hupe, desto kleiner das Hirn«, rief er dem Fahrer des Kleinlasters zu und kürzte die darauffolgende Schimpftirade im neapolitanischen Dialekt ab, indem er einfach das Fenster schloss.
Bertucci gähnte, dann schaute er auf die Uhr.
Knapp vor sieben.
Nach einem Blick in den Badezimmerspiegel und der sofort darauf folgenden Reue über diese Entscheidung öffnete Bertucci die Wasserhähne und stieg in die Wanne. Sein allmorgendliches Bad wollte er sich auch heute nicht vermiesen lassen.
Am Kopfende der Badewanne waren Stapel von Büchern aufgeschichtet. Der Kardinal griff nach einem Taschenbuch über die Verbindungen der sizilianischen Mafia mit der regierenden Klasse in Rom und ließ sich ins warme Wasser sinken. Er stöhnte wohlig. Genuss pur am frühen Morgen, dachte er, bevor er sich in seine Lektüre vertiefte.
Aber nach ein paar Minuten bemerkte er, dass er mit seinen Gedanken ganz woanders war. Die Ereignisse gestern im Archiv und das Gespräch mit dem Heiligen Vater gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Pro Deo war ein Staat im Staat, niemand wusste so recht, wer den Geheimdienst eigentlich kontrollierte. Alle hofften darauf, dass der jeweilige Papst die Zügel fest in der Hand hielt, aber war das tatsächlich der Fall?
Es hatte in der jüngeren Vergangenheit Vorkommnisse gegeben, die leichte Zweifel angebracht erscheinen ließen. Der geheimnisvolle Mord am Kommandanten der Schweizergarde 1998, keine zehn Stunden nachdem ihn der Papst mit diesem neuen Posten betraut hatte, trug die Handschrift des Geheimdienstes. Damals, vor zwölf Jahren, wurden der neu ernannte Kommandant, seine Frau und deren angeblicher Mörder tot aufgefunden.
Saubere Angelegenheit, dachte Bertucci. Niemand mehr zu befragen, keine Spuren, ein völlig neuer Anfang. Im Borgo Pio, dem Viertel vor der Kaserne der Schweizergardisten, hatte niemand an die Erklärungen der offiziellen Stellen geglaubt. Bertucci auch nicht. Aber in wessen Auftrag war der Mord verübt worden? Stimmte es, dass der neu ernannte Kommandant ein ehemaliges Stasi-Mitglied gewesen war? Der Heilige Vater konnte nichts davon gewusst und noch weniger ein Interesse an der Tat gehabt haben, sonst hätte er den Mann seiner Wahl nicht wenige Stunden zuvor mit der Kommandantur betraut.
Der Kardinal klappte das Buch zu und legte es zur Seite.
Pro Deo agierte in einem Nebel, der undurchdringlich schien. Zum höheren Wohl der Kirche? War der Geheimdienst der Vollstrecker des Papstes? Oder wurde der Heilige Vater lediglich im Nachhinein informiert, von den notwendigen Schritten und versteckten Einsätzen? Und wenn ja, wie umfassend? Auf einer strikten » Need-to-know-Basis « ?
Alles war möglich, und niemand bewegte sich auf sicherem Boden, wenn er darüber spekulierte. Bertucci dachte an die Rolle der CIA in den Vereinigten Staaten und runzelte besorgt die Stirn. Da gab es Geheimbudgets, versteckte Lager in aller Welt, Einsatzgruppen, die niemand kannte, eine Schattenwelt, Geheimkonten. Wie viel wusste der amerikanische Präsident davon?
Der Advocatus Diaboli wollte gar nicht darüber nachdenken, dass die öffentlich gemachten Informationen über Pro Deo sicher nur die Spitze eines Eisbergs waren. Manche Eingeweihte behaupteten sogar, der vatikanische Geheimdienst sei nach dem Muster des israelischen Mossad aufgestellt worden. Wenn das tatsächlich stimmte, dann musste es auch bei Pro Deo Einheiten geben, die nur damit beschäftigt waren, aufzuräumen, wie man das in Geheimdienstkreisen nannte.
Wo sie hinausgingen, lebte niemand
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