Teufel - Thriller
vollenden, was er letztes Jahr in der Gruft unter dem Rennweg begonnen hatte.
Sina stand von der Bank auf und streckte sich. Jauerling hatte sie mit seinen Aufzeichnungen auf eine Reise geschickt, und sie waren brav seinen Angaben gefolgt. Bis jetzt war es eine bequeme Gesellschaftsreise gewesen, ab jetzt würde er auf der Hut sein müssen. Der Unbekannte war vielleicht nicht ganz bei Sinnen, aber gefährlich war er allemal.
Georg sah sich um. Nichts war auf diesem Kirchhof ungewöhnlich. Oder sollte er sich täuschen? Hatte er in der Fülle der Hinweise wieder einmal etwas übersehen?
Was war das Besondere an diesem winzigen Ort? Wo war überhaupt diese Burg geblieben?
Sina kramte in seiner Erinnerung. Kühnring. Soweit er sich entsinnen konnte, war hier einmal ein festes Haus der Kuenringer gewesen, nein, das Stammschloss sogar, von dem das Geschlecht seinen Namen hatte.
»Was hat dieser Irre damit gemeint, als er sagte: Wenn Sie einen Eindruck davon haben, woher dieser Ort seinen richtigen Namen hat, fahren Sie nach Wien?«, unterbrach Barbara das bedrückende Schweigen.
»Ich habe keine Ahnung«, brummte Georg resigniert, »wirklich nicht.«
»Er hat doch eindeutig von einem › richtigen Namen ‹ gesprochen«, ließ sie nicht locker. »Damit unterstellt er ja, dass Kühnring der falsche ist. Oder irre ich mich?« Sie schaute Sina mit wachen Augen an.
»Nein, Barbara. Sie haben ganz recht. Wenigstens einer von uns beiden ist wach.« Georg wanderte mit gesenktem Kopf auf dem Kirchhof hin und her. Konzentrier dich, sagte er sich immer wieder.
Vor dem Beinhaus blieb er kurz stehen und stieg die Treppen zu dem kleinen Säulenportal hinauf. In die Basen der schlanken Säulen waren Buchstaben graviert. Die Initialen der Steinmetze vielleicht, überlegte Georg und drückte die Türklinke nach unten. Die Pforte war versperrt.
Er bückte sich, blickte neugierig durch das Schlüsselloch und zuckte überrascht zusammen. Wo er aufgestapelte Schädel und Knochen erwartet hatte, schaute er direkt auf eine barocke Statue des Erzengels Gabriel. In Rüstung und mit Speer wirkte er bedrohlich und keineswegs so beschützend, sanft und friedlich, wie es für den Himmelsboten üblich war. Aber der goldene Namenszug auf dem Sockel ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, wer über diesen Ort wachte.
Sina wandte sich um und ließ seinen Blick wandern. Erst jetzt bemerkte er, dass die Felsen, auf denen der barocke Kalvarienberg errichtet worden war, keine Granitbrocken waren, sondern Mauerwerk. Massives Gemäuer, aus Feldsteinen errichtet, wie es für eine Burg typisch war. Aber die mächtigen, gut zwei Meter dicken Mauern lagen über den Kirchhügel verstreut, als wären sie vor ewigen Zeiten auseinandergefallen wie ein Kartenhaus.
»Sie als Mittelalter-Experte müssten doch wissen, ob dieses Dorf einmal seinen Namen gewechselt hat«, bohrte Barbara weiter. »Die Kuenringer waren doch ein einflussreiches und mächtiges Geschlecht, oder? Und dieses Dorf war, auch wenn sein heutiger, verschlafener Eindruck täuscht, für die Geschichte der Region nicht unwesentlich?«
»Richtig!«, bestätigte Georg und stieg die schmale Stiege wieder hinunter. »Ich glaube, einmal etwas darüber gelesen zu haben«, murmelte er. »Ja! Das war es! Es gibt eine Urkunde aus dem Jahr 1056, in der ein Gebiet namens Hecimanneswisa an Azzo übertragen wird. Sie wissen schon, wir haben in Schöngrabern von ihm gesprochen, der erste Kuenringer, mit seinem Traum vom wilden Keiler…«
»Heci…was?«, unterbrach ihn Barbara verblüfft.
»Hecimanneswisa«, wiederholte Sina und musste über das Gesicht der Nonne lächeln. »Es gibt keine absolute Gewissheit, dass dieses in der Urkunde erwähnte Hecimanneswisa das heutige Kühnring ist. Ein paar Kollegen zweifeln daran, aber das tun sie immer. Meiner Meinung nach spricht vieles dafür, dass Hecimanneswisa und Kühnring dieselben Orte sind. Die Bärenhaut, eine mittelalterliche Reimchronik, das Stiftungsbuch des Stiftes Zwettl, berichtet, dass Azzo in Hecimanneswisa die Kirche erbaut und sie den Aposteln Philipp und Jakob geweiht habe. In der ganzen Gegend befindet sich aber nur diese Kirche in Kühnring, die diesen Patronen geweiht ist.«
Er wies auf die romanische Dorfkirche. »Da außerdem in Kühnring das Stammschloss der Kuenringer stand, wovon ich mittlerweile auch überzeugt bin, ist es sehr wahrscheinlich, dass Hecimanneswisa tatsächlich Kühnring ist. Und es könnte sich dabei durchaus auch
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