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Teufel - Thriller

Teufel - Thriller

Titel: Teufel - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer David Weiss
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einem Zug. »Schaut her, ich erkläre es Euch.« Raffaelli holte ein Stück Papier und einen Silberstift aus seiner Jacke und begann mit wenigen Strichen das Cenacolo zu skizzieren.
    »In der Bildmitte, Signore Lecomtes, sitzen Jesus und Johannes. Leonardo hat sein Gemälde so angebracht, dass auch das Licht der Sonne genau auf die beiden fällt. Seht, hier!« Er deutete mit dem Stift auf seine Zeichnung. »Ist Euch aufgefallen, dass es auf dem ganzen Bild keinen Kelch gibt, aber jede Menge Brote? Kein Wein, keine Einsetzungsworte, kein Sakrament der Eucharistie. Nur Fleisch, aber kein Blut?«
    »Das kann nicht sein!«, widersprach Ferrand heftig. Das Sakrament des Abendmahls verlangte Wein und Brot als Blut und Fleisch Christi.
    »Eben!«, bestätigte Raffaelli grinsend. »Es gibt zwar auf dem Fresko keinen Kelch, aber da ist dieses Dreieck zwischen den beiden zentralen Figuren. Seht Ihr es? Gut! Ist das etwa der Kelch? Versteckt im Hintergrund?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre zu einfach, eines Leonardos nicht würdig. Und auch nicht eines Raffaelli.«
    »Wenn dieses Dreieck kein Kelch ist, was ist es dann, Monsieur Raffaelli?« Ferrand war verblüfft. »Ein Dreieck, auf den Kopf gestellt, ist ein Symbol für das Weibliche. Aber es bedeutet auch, dass sich das Geistige im Körperlichen manifestiert. Das Göttliche wird gewissermaßen Materie«, wagte er einen Versuch.
    »E vero.« Raffaelli nickte begeistert. »Dieses Dreieck ist nichts anderes als der Heilige Geist, der sich auf und in die beiden Figuren in der Mitte senkt, ihnen somit Leben einhaucht. In der Genesis, im ersten Schöpfungsbericht der Heiligen Schrift, steht geschrieben: › Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie zu Mann und Weib. ‹ Wussten Sie eigentlich, dass man als Theologe früher erst ab dreißig diesen Text lesen durfte, weil er die ganze Welt enthält? Egal! Hier sitzen jedenfalls Mann und Weib beisammen.« Er zog einen dicken Kreis um Jesus und Johannes.
    »Gut, nehmen wir das einmal so hin«, überlegte der Abbé. »Aber wenn Jesus der Mann ist, und dieser Jünger an seiner Seite die Frau, so ergibt sich darin ein Widerspruch.«
    »Warum?«, erboste sich der Italiener und sah Ferrand aufmerksam dabei an.
    »Ganz einfach: Ein rotes Unterkleid mit blauem Mantel darüber ist ausnahmslos für die Jungfrau Maria reserviert, das weibliche Prinzip. Umgekehrt, also blaues Kleid unter rotem Mantel, trägt nur Gottvater, das männliche Prinzip. Wir hätten es hier also mit einem Mann zu tun, der Frauenkleider trägt, und einer Frau, die Männerkleidung anhat. Und zu allem Überfluss sieht es bei Ihrer Zeichnung auch noch so aus, als mündeten die beiden Körper ineinander.«
    »Signore Lecomtes, das sieht nicht nur in meiner Zeichnung so aus, sondern auch auf dem Original! Ich habe über acht Jahre dieses Bild kopiert, und nicht Ihr. Ich kann es im Schlaf wiedergeben. Vielleicht seid Ihr ja Kunsthändler, habt sogar an der Sorbonne in Paris Kunstgeschichte studiert, aber ich bin der Künstler und ich weiß, was ich sehe…« Er wollte aufstehen.
    Ferrand hielt ihn eilig zurück. »Es tut mir leid, Ihr habt ja völlig recht. Erzählt mehr, bitte!« Da kam ihm ein faszinierender Gedanke. »Monsieur Raffaelli, was haltet Ihr davon…«, begann er vorsichtig. »Ist es nicht beim asiatischen Symbol für Yin und Yang ganz genauso: Die weiße Hälfte formt mit der schwarzen zusammen einen perfekten Kreis, aber in jeder der beiden Farbflächen befindet sich immer ein Fleck der anderen Farbe. Die beiden Prinzipien vereinen sich zu perfekter Harmonie, aber in jeder der beiden Energien befindet sich auch immer ein Rest der ergänzenden Kraft. Könnte es im Bild da Vincis etwas Ähnliches sein?«
    »Ich glaube schon«, brummte der Italiener überrascht. »Woher wisst Ihr solche Sachen, um Gottes willen?«
    Der Jesuit räusperte sich. »Um ehrlich zu sein, ich habe fleißig die Missionsberichte der Jesuiten aus Amerika und Asien gelesen…«
    »Sie meinen also, Signore Lecomtes, Leonardo hat uns hier so ein christliches Yin und Yang, wie Sie es nennen, hinterlassen? Mann und Frau als Manifestation der göttlichen Harmonie?« Er überlegte kurz. »Das ergibt durchaus einen Sinn: Jeder Mann und jede Frau kann somit durch den Heiligen Geist zu einem Christus werden.«
    »Ich habe noch etwas entdeckt«, gab Ferrand vorsichtig zu bedenken. »Die Linien der Zentralperspektive des Gemäldes, so wie Ihr

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