Teufel - Thriller
persönlichen Befehl Himmlers die Gruft und die Krypta um. Auch die nahe gelegene Stiftskirche St. Servatius wurde beschlagnahmt und umgebaut.« Der Historiker schüttelte den Kopf. »Die Liste der Beispiele ist lang. Meiner Meinung nach machte es Himmler Staatskanzler Metternich nach und wollte das Archiv so nahe wie möglich bei sich wissen. Deswegen ist die Wewelsburg als Aufbewahrungsort ab 1938 durchaus denkbar, wenn nicht sogar wahrscheinlich. Ist ihre dreieckige Form nicht das Symbol der Spitze der Heiligen Lanze? Damit hielt Himmler Rom in Schach. Er installierte seine eigene Religion, seinen Glauben, seine Zeremonien und Weihefeiern. Und der Vatikan? Der schaute zu und hielt seinerseits still, von ein paar Ausnahmen abgesehen.«
»Was uns zum Inhalt bringt«, warf Bertucci ein, »und zu Ihrer Frage von vorhin.«
»Ich werde mich sicher nicht auf Vermutungen diesbezüglich einlassen, Eminenz, das wäre pure Spekulation. Die Listen der fehlenden Dokumente liegen inzwischen sicher gut verwahrt in den Geheimen Päpstlichen Archiven in Rom. Nur schade, dass sie niemand einsehen kann… Lediglich ein einziger Punkt steht für mich unverrückbar fest. Der Inhalt des Archivs muss an den Grundstrukturen der katholischen Kirche rütteln, sie infrage stellen und Alarmstufe Rot für Rom darstellen.«
Bertucci zuckte zusammen. Er erinnerte sich an sein letztes Gespräch mit dem Heiligen Vater in dessen Arbeitszimmer an dem Tag, an dem alles begann. Fast dieselben Worte. Dabei ging es um Reliquien, die Reliquie… Sollte es tatsächlich …?
»Eine letzte Frage, Professor«, bat Bertucci. »Kann es Ihrer Meinung nach einen Zusammenhang zwischen der byzantinischen Prinzessin Theophanu und dem Archiv geben?«
»Theophanu?« Meitner schien verwirrt. »Mit dem Vatikanischen Archiv? Kaum. Was mir dazu spontan einfällt, ist der große und prunkvolle Hoftag ihres Mannes Otto des Großen in Quedlinburg 972. Ein Jahr zuvor hatte er Theophanu in Rom geheiratet, und sie war an seiner Seite. Aber das wäre dann auch schon die einzige geografische und zeitliche Verbindung, die mir in den Sinn kommt. Die Kaiserin war bereits Jahrhunderte tot, da wurde das Päpstliche Archiv erst geschaffen.«
Bertucci nickte düster. Er hatte es geahnt.
Der dritte Name bezog sich nicht auf die vor zweihundert Jahren verschwundenen Unterlagen und Akten des Vatikanischen Geheimarchivs.
Er betraf die größte und wichtigste Reliquie, die zugleich der Untergang der katholischen Kirche sein würde.
Die sterblichen Überreste von Jesus Christus.
Stiftskirche St. Cyriakus, Gernrode, Sachsen-Anhalt/Deutschland
D ie Spur von Georg Sina und dieser Klosterschwester in Quedlinburg wieder aufzunehmen, war leichter als erwartet ausgefallen. Der Professor hätte ihn zwar gestern Abend im Schlosshof vor dem Museum um ein Haar bemerkt, aber er hatte rasch wieder im Schatten der Arkaden verschwinden können. Die Nonne schwebte ohnedies in anderen Sphären, sie war am Frühstücksbuffet im Hotel direkt neben ihm gestanden und hatte ihn nicht einmal wahrgenommen.
Zufrieden lächelnd folgte der Mann in Jeans und Pullover dem Mazda mit dem Wiener Kennzeichen und der unpassenden Aufschrift. Er hatte in Quedlinburg ganz einfach von einem geparkten Wagen das Kennzeichen abmontiert und es an seinem Auto angebracht. Perfekte Tarnung, dachte er, zumindest für kurze Zeit. Als vermeintlich Ortsansässiger konnte er jetzt seine Opfer verfolgen, ohne unnötig Verdacht zu erwecken.
Er warf einen Blick auf die Karte. Seit dieser hässliche »Pizza-Expresss« in die »Straße der Romanik« nach Gernrode eingebogen war, gab es keinen Zweifel mehr über das Ziel der drei »Pilger«: die Stiftskirche St. Cyriakus, kaum zehn Minuten von Quedlinburg entfernt. Auf dieser Strecke gab es sonst nichts, was im Hinblick auf die »unheilige Ketzerei« interessant wäre, wie der Monsignore in Wien Sinas Vorhaben getauft hatte. Außerdem hatten der Bücherwurm und die Betschwester ihre Nasen bisher nur in romanische Kirchen gesteckt. Es war also äußerst unwahrscheinlich, dass sie ihre Aufmerksamkeit jetzt auf etwas anderes richten würden.
Er schaltete das Autoradio ein und summte beschwingt vor sich hin. Was für ein Glück, dass heute auch noch Paul Wagner nach Sachsen-Anhalt gekommen war! Das sparte Zeit und Aufwand. Zwei Freunde, zwei Kugeln, dann eine Schaufel und etwas Kalk – ein namenloses Grab. Herrlich unspektakulär. Kein Hahn würde mehr nach den beiden krähen, und nach
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