Teufel - Thriller
flüsterte Wagner und sah seinen Freund, der Tschak packte, ihn hochnahm und im Zickzack auf die Steinmauer zustürmte. Neben dem Tor war ein weiterer, kleinerer Durchlass im dicken Gemäuer.
Eine Tür.
Egal, ob offen oder nicht, die Nische war hier und jetzt die einzige Deckung.
Paul beobachtete Georg für den Bruchteil einer Sekunde, sah den Torflügel und die Pforte links davon. Sofort war ihm klar, was Sina vorhatte. Er sprang auf und riss Barbara auf die Beine.
Die Einschläge links und rechts von ihm verrieten, dass er zu langsam gewesen war. Er erstarrte in der Bewegung.
Von der Mauerkrone hallte eine zynische Stimme über den Platz.
»Herr Wagner! Wie schön, Sie wiederzusehen! Darf ich zur Feier des Tages um einen Tanz bitten? Tanzen Sie für mich, Herr Wagner!«
Dann lachte der Killer laut auf und feuerte eine weitere Salve ab.
Die Einschläge im Sand rückten immer näher …
Eine Reihe von kleinen Sandfontänen spritzte auf, knapp vor den Füßen von Barbara und Paul.
»Auf solches Mauerwerk klettere ich mit einem Kübel Mörtel am Gürtel noch vor dem Frühstück…«, knurrte Georg leise und zog sich behände auf die Mauerkrone. Das Gras war feucht und schlüpfrig, aber die Mauer selbst ungewöhnlich breit. Er drehte sich kurz um und schaute nach unten. Jetzt begriff er, wo er war. Die Mauer war die ehemalige Südwand einer Kirche mit monumentalen Ausmaßen. In den sandigen Platz war mit niedrigen Mauern der Grundriss des einstigen Domes der Kaiserpfalz markiert. Die Ausmaße dieser Kirche waren gewaltig, fast hundert Meter lang. Keine Zeit für nähere Betrachtungen, sagte er sich, er musste weiter. Als er den Kopf wieder hob, schaute er in den Lauf eines Steyr-Sturmgewehres.
Vor ihm stand breitbeinig der Killer und grinste.
Tschak knurrte und bellte am Fuß der Mauer. Mit kräftigen Sprüngen wollte er seinem Herrchen zu Hilfe kommen, doch so hoch konnte auch er nicht springen.
»Seit wann sind sie Freestyle-Kletterer, Professor Sina?«, fragte der Mann in Jeans und Pullover süffisant und tippte Georg mit dem Lauf der Waffe auf die Brust. »Ich hätte nicht damit gerechnet, Sie aus der Nähe zu sehen. Willkommen am Sterbeort von Heinrich I. und Otto I., seinem Sohn, genannt der Große! Ein traditionsreicher Platz, um das Zeitliche zu segnen, das werden Sie zugeben müssen. Sie drei Kleinen werden es jetzt den Großen gleichtun … Hier endet für Sie diese Geschichte, dieses Spiel. Einer muss den Anfang machen …«
Er lachte und wollte den Zeigefinger um den Abzug krümmen, da erscholl plötzlich ein lautes Krächzen. Wild flatternd stürzten sich zwei Raben aus dem nahen Baum. Sie flogen zielstrebig auf den Killer zu.
Georg traute seinen Augen nicht. Während einer der Vögel mit vorgestrecktem Schnabel auf den Kopf des Bewaffneten niederstieß, umkreiste der andere mit lautem Gekreische den Wissenschaftler.
Sina bewegte sich nicht. Selbst Tschak war so überrascht, dass er zu bellen vergaß. Der Killer hob schützend seine Arme vors Gesicht, schlug nach dem Raben. Doch der Vogel wich nicht zurück, ließ nicht von ihm ab, griff immer wieder an. So taumelte der Mann mehrere Schritte rückwärts, kam dem Mauerrand immer näher.
Paul wollte etwas rufen, aber seine Stimme versagte. Er schaute ungläubig auf die Raben.
Mit einem Aufschrei rutschte der Killer auf dem nassen Gras aus, verlor das Gleichgewicht und stürzte von der Mauer. Mit einem hässlichen Geräusch schlug er auf dem sandigen Boden der riesigen Kirchenruine auf.
Sina stürzte nach vorn und spähte vorsichtig über den Rand nach unten. Der Mann schien ihn mit blicklosen Augen anzusehen. Seine Arme waren im rechten Winkel ausgestreckt, das linke Bein gerade, das rechte ein wenig angewinkelt.
»Wie der Gekreuzigte«, raunte Sina und sah entsetzt, wie einer der Raben sich auf das Gesicht des Toten setzte und ihm mit seinem Schnabel ins Auge hackte. Dunkles Blut aus Nase und Ohren zeichnete kleine Rinnsale in den Sand.
Der zweite Rabe landete auf dem Oberkörper des Toten. Es war, als wolle er noch einmal dem Mann ins Gesicht schauen.
Paul stand wie erstarrt. Er versuchte sich zu bewegen, um die Vögel zu verscheuchen, aber es gelang ihm nicht.
Schließlich, mit einem letzten Krächzen, flogen die Raben auf, flatterten über die Mauerkrone und verschwanden hinter einem Hausdach.
Nach einem Blick auf den Toten drehte sich die Nonne weg und verbarg das Gesicht zwischen ihren Händen. Ihre Schultern zitterten.
Paul
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