Teufeliaden: Erzählungen (German Edition)
Verführer? Mit deiner Kühnheit hast du mich gefügig gemacht, du mein Drache. So küsse mich doch, küsse mich rasch, ehe jemand von der Kontrollkommission kommt.«
Wieder entrang sich Korotkows Mund ein seltsamer Laut. Er taumelte, spürte etwas Süßes, Weiches auf seinen Lippen, und riesige Pupillen blickten ihm dicht in die Augen.
»Ich gebe mich dir hin«, raunte es in Korotkows Mund hinein.
»Nicht nötig«, erwiderte er heiser. »Mir sind die Papiere gestohlen worden.«
»Sieh einer an«, tönte es plötzlich von hinten.
Korotkow fuhr herum und erblickte das Männlein im Lüsterjackett.
»Aaah«, schrie die Brünette, hielt sich die Hände vors Gesicht und enteilte durch die Tür.
»Hi«, sagte das Männlein, »nicht schlecht. Wo man auch hinkommt, überall Sie, Herr Kolobkow. Sie sind mir ein Raffer. Aber ob Sie hier küssen oder nicht, eine Dienstreise werden Sie sich nicht erküssen. Mir altem Manne hat man sie gegeben, und ich werde fahren. So ist das.«
Mit diesen Worten zeigte er Korotkow mit dürrem Finger einen Vogel.
»Und eine kleine Anzeige werd ich gegen Sie einreichen«, fuhr das Lüsterjackett böse fort. »Jawohl, in der Hauptabteilung haben Sie schon drei entjungfert, und jetzt sind wohl die Unterabteilungen dran? Daß die Engelchen jetzt weinen, ist Ihnen egal? Traurig sind sie, die armen kleinen Mädchen, doch o weh, zu spät. Die Mädchenehre ist unwiederbringlich futsch. Futsch.«
Das Männlein zog ein riesiges Schnupftuch mit orangefarbenen Blumensträußen und schneuzte sich weinend.
»Und nun wollen Sie mir altem Manne die Reisegroschen entreißen, Herr Kolobkow? Bitte sehr …« Das Männlein schluchzte bebend und ließ die Aktentasche fallen. »Nehmen Sie, fressen Sie! Der zwar parteilose, aber sympathisierende alte Mann kann ja ruhig Hungers sterben. Soll er doch, denken Sie, schadet ihm gar nichts, dem alten Knochen. Doch merken Sie sich, Herr Kolobkow«, die Stimme des Alten wurde prophetisch drohend und schwoll zum Glockengeläut. »Sie werden Ihnen keinen Nutzen bringen, diese verfluchten Gelder. Im Halse werden sie Ihnen steckenbleiben.« Und der Alte brach in hemmungsloses Schluchzen aus.
Hysterie bemächtigte sich Korotkows: Ganz plötzlich und für sich selbst unerwartet fing er an, auf dem Fußboden herumzutrampeln.
»Verflucht und zugenäht«, schrie er dünn, und seine kranke Stimme entschwebte in den Gewölbebögen. »Ich bin nicht Kolobkow. Laß ab von mir! Ich bin nicht Kolobkow. Ich will gar nicht fahren!«
Er zerrte an seinem Kragen.
Die Tränen des Alten versiegten im Nu, er zitterte vor Entsetzen.
»Der nächste!« knarrte die Tür. Korotkow verstummte, stürmte ins Zimmer, lief an den Schreibmaschinen vorbei nach links und sah sich einem schlanken, eleganten Blondkopf im blauen Anzug gegenüber. Der Blondkopf nickte ihm zu und sagte:
»Kurz, Genosse. Kurz und knapp. Im Handumdrehen. Poltawa oder Irkutsk?«
»Mir sind die Papiere gestohlen worden«, antwortete Korotkow verstört und sah sich wild um. »Und ein Kater ist aufgetaucht. Das darf er nicht. Ich habe mich nie im Leben geprügelt, die Streichhölzer waren das. Er hat kein Recht, mich zu verfolgen. Mir egal, daß er Unterhoser ist. Mir sind die Pa…«
»So ein Quatsch«, antwortete der Blondkopf. »Sie kriegen von uns eine Uniform und Hemden und Laken. Wenn Sie nach Irkutsk fahren, kriegen Sie sogar eine gebrauchte Pelzjoppe. Fassen Sie sich kurz!«
Der Schlüssel klirrte melodisch im Schloß, der Blondkopf zog die Schublade auf, schaute hinein und sagte freundlich:
»Bitte kommen Sie, Sergej Nikolajewitsch.«
Sogleich tauchten aus der Eschenholzschublade ein wohlfrisierter flachsblonder Kopf auf und huschende blaue Augen. Diesen folgte, sich schlängelnd, der Hals, der gestärkte Kragen knisterte, dann zeigten sich Jackett, Arme, Hose, und gleich darauf stieg der komplette Sekretär, »guten Morgen« piepsend, auf das rote Tuch. Er schüttelte sich wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt, sprang vom Schreibtisch, schob die Manschetten zurück in die Ärmel, entnahm der oberen Jackentasche einen Patentfederhalter und kritzelte drauflos.
Korotkow prallte zurück, streckte den Arm aus und sagte kläglich zu dem Blondkopf:
»Sehen Sie doch, sehen Sie, er ist aus dem Schreibtisch gestiegen. Was soll denn das bedeuten?«
»Gewiß ist er herausgestiegen«, antwortete der Blondkopf. »Er kann doch nicht den ganzen Tag da drin liegen. Die Arbeitszeit ist knapp, sie muß ausgenutzt
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