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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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sie auf, und manchmal für immer.« Falko blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich weiß, was du sagen würdest. Du würdest sagen, das sei eine meiner Finten. Und wenn schon. Ich gebe es zu.«
    Friedrich nahm einen tiefen, gurgelnden Atemzug und wachte auf.
    »Kommissar?«, fragte Falko, beugte sich vor und schaute dem Greis in die Augen. Sie waren früher wohl blau gewesen, jetzt überzog sie ein trüber Schleier, und die Iris war von roten Adern umgeben wie von verschrumpelten Strahlen. Trotzdem sah Friedrich jetzt wach aus, fast so, als würde er Falko nachdenklich mustern.
    »Irgendwann erfinden sie ein Mittel, das die Augen im Alter klar hält«, murmelte Falko. »Egal. Vielleicht freut es dich, dass ich bei Annika versagt habe.«
    Er trat ans Fenster und ließ seinen Blick über die schneegescheckten Baumkronen schweifen. Ein paar Krähen segelten in Richtung Stadt, die hell geworden war.
    »Seltsam, dass Tiere keine Steuern zahlen müssen, nicht einmal einen Personalausweis haben. Es gibt so viele Viecher da draußen, die leben so vor sich hin und haben keine Versicherung. Die haben mehr Freiheit, aber auch mehr Tod. Ich habe hier seltsame Gedanken. So seltsame Gedanken hatte ich nicht einmal im Knast. Und es hat mit Annika angefangen. Sie reagierte nicht auf meine Frage, ob es ihr schlecht geht. Sie wurde nur rot und guckte weg. Die meisten Frauen, die ein Geheimnis haben, wollen enträtselt werden. Enträtselt werden und sich dann ausheulen. Annika will das nicht. Und dann ihre seltsame Frage: Kann man einen Kuckuck umerziehen? Lach nicht, aber seither denke ich darüber nach.«
    In der Ferne wurden die Krähen zu schwarzen Flecken, zu Löchern in einem alten Film, dann verschwanden sie.
    »Nicht schlecht, diese Aussicht. Im Knast sah ich nur die Backsteinmauer und die Socken, die zum Trocknen über den Fenstergittern hingen. Vier Jahre habe ich gesessen. Aber ich wusste, dass draußen die Welt war, irgendwo hinter den grauen Türen, den Neonleuchten und dem ochsenblutfarbenen Linoleum. Es ist seltsam, aber wenn ich hier wach werde, nachts, weil du schnarchst, Kommissar, wenn ich durch das Kuppeldach die Sterne sehe, dann will ich zurück in meine Zelle. Weil die Zelle von einer Welt umgeben war. Die Cardea ist aber von nichts umgeben. Diese Landschaft ringsum macht alles trostlos, endlos. In der Zelle gab es eine Sehnsucht, die hat mich zerrissen und am Leben gehalten. Ich habe immer der Dunkelheit gelauscht, der Klospülung, dem Türknallen, dem Stöhnen, Brüllen, Schlüsselklirren. Und dem asthmatischen Schweigen der Wände. Hier ist es anders. Ich fühle mich immer noch eingesperrt, nur die Sehnsucht ist weg. Hast du mal von diesen Zombieameisen gehört? Die sind von einem Pilz befallen, der ihr Nervensystem kontrolliert. Erst torkeln sie rum, dann beißen sie sich an einem Blatt fest. Und wenn sie tot sind, frisst der Pilz sie auf, und schließlich wächst er aus ihrem Kopf heraus. Die Patienten der Cardea sind solche Zombieameisen. Sie haben sich hier festgebissen und warten auf den Pilz in ihrem Kopf, auf das Ploppen, wenn er durch die Schädeldecke bricht. Ich fühle mich selbst schon so weiß und schwammig. Obwohl ich die Psychopillen gar nicht schlucke. Ich tue nur so und spucke sie später ins Klo, die merken das nicht, die gucken nur unter der Zunge nach, aber nicht in der Wangentasche. Der Glatzkopf, der mich aufgenommen hat, der Langenfeld, der hätte doch was ahnen können. So bleich wie ich ist nur einer, der frisch aus dem Knast kommt. Die Depression ist aus Wikipedia, und der Lebenslauf ist sogar echt, mit meinen bescheuerten Eltern. Der Glatzkopf fragte die Symptome ab, und er freute sich, je besser sie zusammenpassten. Er kam sich so schlau vor. Die Psychofuzzis wollen alle was verstehen, worauf sie sich vorher schon festgelegt haben, deshalb sind sie so leicht zu verarschen. Weißt du, womit ich im Knast gehandelt habe? Nicht mit Drogen, auch nicht mit meinem Arsch. Nein, ich habe mit Träumen gehandelt. Ich habe meinem Zellenkumpel gesagt, was er dem Dachdecker, also dem Psychologen, erzählen soll, damit er Lockerung kriegt. Die tollsten Träume habe ich erfunden. Von Wesen, die aus dem Dunkeln kommen und meinem Kumpel Vorwürfe machen, aber am Ende tanzen sie zusammen. Irgendeinen Scheiß halt.«
    Falko setzte sich wieder an den Tisch und lehnte sich zurück. Einen Moment lang kam es ihm so vor, als würde Friedrich in sich hineinschmunzeln, aber dann war sein

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