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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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so, der andere eben so.«
    »Aber ich träume so schlimm«, sagte Annika.
    »Nun, ich hatte mal eine Patientin, die hat dann einfach Kassetten gehört, Hörspielkassetten, Benjamin Blümchen.«
    »Benjamin Blümchen? Das ist für Dreijährige.«
    »Das macht doch nichts«, sagte er. »Hin und wieder darf man auch mal regredieren. Ständig dieses Erwachsenseinmüssen, schrecklich. Wenn ich krank bin, lese ich immer ›Rennschwein Rudi Rüssel‹.« Er begann wieder zu wippen. »Aber irgendwann muss es darum gehen, sich auch für die Inhalte dieser Träume zu interessieren«, fügte er hinzu.
    »Ja«, sagte Annika, »vielleicht, irgendwann.«
    Joseph starb an Leberzirrhose, Annika hatte es erfahren, als sie vor der geschlossenen Tür des Logo auf einen der ehemaligen Gäste traf, den blondgelockten Billi, Ikea-Billi wurde er genannt. Sie erschrak, weil er eine Schirmmütze trug. Sie zog mit ihm ein paar Häuser weiter ins Madonna, die gelben Lichter flossen auf den Gehweg. Billi konnte die Augenbrauen nicht einzeln heben, sie übte die ganze Nacht mit ihm an der Bar. Zwischendurch schrieb er Gedichte auf die Bierdeckel:
    Das da Exkrement
    Nomen
    Klatura
    Er sagte: »Man müsste politischer sein.«
    »Aber wie denn?«, wollte sie wissen.
    »Mal was machen. Zum Beispiel gegen diese ganzen Mercedesfahrer mit ihrer eingebauten Vorfahrt. Gegen diese ganze Islamophobie und die Globalisierung und den Klimawandel und alles.«
    »Was heißt denn Nomen Klatura?«
    »Festlegungsscheiße, Elite und so.«
    »Ach so.«
    Eine Weile starrten sie schweigend auf das kolorierte Foto von Heinz Rühmann, das gerahmt neben der Tür hing. Heinz Rühmann lächelte.
    »Irgendwie lächelt der hintergründig«, sagte Annika, »aber irgendwie dringt der Hintergrund nach vorne durch, sodass man keine Angst haben muss, man würde irgendwas nicht sehen oder verstehen. Rühmann ist doppelbödig oberflächlich. Kapierst du? Deswegen mögen ihn alle.«
    »Die Oberfläche ist der Untergrund. Zwei gleiche Bilder übereinander, das gibt einen Tiefeneffekt, aber ohne Tiefe.«
    »Genau. Du verstehst mich, Billi.«
    »Prost. Auf Rühmann, den alten Nazi.«
    »Prost«, sagte Annika. »Sag mal, kannst du vielleicht die Schirmmütze abnehmen?«
    Heinz Rühmann an der Wand lächelte und lächelte, und je mehr sie tranken, um so mehr wurde Billi zu Reimo.
    »Mann, bin ich betrunken«, murmelte sie.
    »Ich auch«, sagte Billi.
    »Wenn man dich und Reimo übereinanderlegen würde, wäret ihr dann ein und derselbe? Also wäret ihr zusammen so ein Rühmann mit Tiefeneffekt?«
    »Hä?«
    Annika nahm Billi die Mütze vom Kopf und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Blitzartig griff Billi in ihr Dekolleté und riss ihr die Bluse auseinander, ein Knopf sprang ab und rollte über den Tresen. Annika sah ihm nach, bis er über den Rand fiel.
    »Das hast du davon«, sagte Billi. »Mich einfach so anzugrapschen, was soll das?«
    Er bestellte noch zwei Bier. Die Kneipe leerte sich, Annika blickte auf die Stuhlbeine. Das Gewirr aus schwarzem Holz gab eine pulsierende Intensität ab. Die Stuhlbeine, beschloss Annika, bedeuten, dass ich in der Zukunft an diesen Augenblick denke. Sie bedeuten, dass es mich geben wird.
    Sie hörte nicht mehr, was Billi sagte, auch die Musik war weg. Als Reimo hereinkam und neben sie trat, hielt sie ihn erst für Billi.
    »Du!« Er griff in ihren Nacken.
    »Du bist doch der Billi«, sagte sie.
    »Erst Joseph, dann Billi, jetzt aus die Maus.«
    »Wir haben uns nur unterhalten«, sagte Billi.
    »Schnauze.«
    Auf dem Weg durch den Park wiederholte Annika: »Aber du bist doch der Billi, und zusammen seid ihr Heinz Rühmann, und der ist schon tot und kann mir nichts tun, er ist harmlos, obwohl er ein Nazi war.«
    »Na klar.«
    Reimo schob sie vor sich her, seine Finger bohrten sich in ihren Hals.
    Sie kamen auf die Brücke, die über den Kanal nach Treptow auf den alten Bahndamm führte. An einem verrosteten Signalträger hing ein Laken. »Freiheit für alle Gefangenen!« stand darauf, »Knastgesellschaft angreifen!«. Der Mond schien durch die kahlen Äste eines toten Baumes, Annika sah das Gewirr aus dunklem Holz. Sie riss sich los und rannte. Sie schaffte es bis in den Park zurück, hinter ihr quakten Enten im Kanal, sie stolperte durchs Gebüsch und erreichte die Görlitzer Straße. Reimo holte sie ein.
    »Aber die Stuhlbeine«, stammelte sie.
    »Es reicht.«
    Die Straßenlaternen waren so gelb wie die Lampen im Madonna, eine Weile hoffte

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