Teufelsberg: Roman (German Edition)
Annika, in Wahrheit noch in der Kneipe zu sitzen, bei Billi und Joseph und dem Chauffeur, aber da war niemand.
»Und was macht der Schlaf?«, fragte Vosskamp.
Annika fuhr zusammen.
»Was?«
»Was macht der Schlaf?«
»Ist schlecht. Frau Berger schnarcht.«
»Ja, das Schnarchen, immer wieder ein Konflikt zwischen den Patienten. Da hilft nur Ohropax.«
»Aber Frau Hofstedt musste das Zimmer wechseln, weil Frau Berger sie nicht ertragen hat. Warum muss denn ich jetzt Frau Berger ertragen?«
»Nun, ich werde mir was für Sie überlegen.« Vosskamp blätterte in ihrer Akte. »Wir sehen uns morgen in der Visite.«
»Was, die Stunde ist schon vorbei?«
»Wir haben schon zehn Minuten überzogen.«
»Oh.«
Ihr Hals schwoll zu, sie stellte sich vor, er wäre voll weinender Augen. Sie fragte sich, was sie sehen würde, wenn sie zwei Augenpaare im Hals hätte, die sich gegenseitig anstarrten. Würde sie zwei oder vier Augen sehen, und welches Spiegelbild zuerst?
Vosskamp beugte sich vor. »Also bis morgen.«
»Aber was wird aus Herrn Walpersdorf?«, fragte Annika. »Der liegt doch da draußen im Schnee.«
»Frau Fechner. Sie liegen ja selbst da draußen im Schnee, symbolisch gesprochen. Nehmen Sie doch endlich Hilfe an. Vertrauen Sie uns.« Er streckte ihr die Hand entgegen. »In diesem Sinne alles Gute.«
Sie kam zu spät in die Tanztherapie, in den Kuppelraum des Thera-Towers, alle hatten schon Paare gebildet. Beate stand neben Friedrich, Sylvia neben der wilden Kapusta, die jeder kannte, weil sie dauernd weglief. Ihr Gesicht war ungewaschen, das Haar orangeblond gefärbt und verklebt. Die anderen Kassenpatienten waren unter sich geblieben. Falko hatte noch keinen Partner. Er trug eine glänzende weiße Sporthose, ein Poloshirt und eine grüne Schirmmütze.
»Hallo«, sagte die Tanztherapeutin, eine drahtige kleine Person mit zerknautschtem Gesicht. »Frau Fechner, tun Sie sich mal mit Herrn Sprenger zusammen.«
Annika trat neben ihn, er lächelte ihr zu, sie starrte auf seine Schirmmütze.
»Wir haben ja eben ausprobiert, wie sich die verschiedenen gefüllten Säckchen anfühlen«, sagte die Tanztherapeutin, »und da haben wir ja ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Wie war es bei Ihnen, Frau Hofstedt?«
Beate schaute auf ihr rot geblümtes Säckchen.
»Mir geht es nicht gut, meine Zähne.«
»Bleiben Sie mal bei dem Säckchen, Frau Hofstedt. Sie sollen ja hier etwas Abstand gewinnen von Ihrem Leiden. Wie hat das Säckchen sich angefühlt?«
»Na ja, hart irgendwie. Und rasselnd. Kirschkerne sind das, glaube ich.«
»Hart und rasselnd«, wiederholte die Tanztherapeutin und sah Beate in die Augen. »Hart und rasselnd. Wie war das für Sie?«
»Darf ich eine rauchen?«
»Nein. Aber Sie dürfen meine Frage beantworten.«
»Als wir die Säckchen in die Luft werfen sollten und dabei unsere Gefühle benennen, fand ich das irgendwie albern.«
»Aha«, rief die Tanztherapeutin, »und würde Ihnen das nicht gefallen? Einfach mal albern sein? Einfach mal alles rauslassen und loslassen?« Sie schüttelte ihre Arme und zog Grimassen. »Holl Diboll Dibumm!«, rief sie mit tiefer Stimme. »Tschaka! Alpaka! Schnippschnapp! Seien wir albern, wir alle zusammen!«
Die Patienten schüttelten ihre Arme aus und murmelten im Chor: »Holl Diboll Dibumm! Tschaka! Alpaka! Schnippschnapp!« Viele hatten starre Bewegungen, andere zitterten, einigen lief Speichel aus den Mundwinkeln. Das lag an den Medikamenten.
»Super!«, rief die Tanztherapeutin. »Tschaka, Alpaka! Und jetzt noch mal!«
Die Sicht war heute trübe, aber vom Turm aus konnte man drüben, auf dem zweiten Gipfel des Teufelsberges, die Schlittenfahrer erkennen. Die Rodelbahn hatte kahle Flecken, die Kufen der Schlitten rissen Erde mit und hinterließen dunkle Streifen auf dem Abhang. Annika hielt Ausschau nach Xaver, aber er war nicht mehr da.
»Annika«, flüsterte ihr Falko ins Ohr, »stell dir vor, die würden da drüben ein Fernrohr haben. Die könnten Geld für das nehmen, was die hier sehen.«
Er grinste. Sie starrte auf seine Schirmmütze.
»Wie haben Sie sich mit dem Säckchen gefühlt, Frau Kapusta?«, fragte die Tanztherapeutin. »Sie haben ja wieder mal für Aufregung gesorgt, als Sie fortgelaufen sind, letzte Nacht. Haben Sie sich inzwischen beruhigt?«
Die wilde Kapusta lachte bellend auf. »Der Sack hat mich an meinen Freund erinnert.«
»Frau Kapusta!«, mahnte die Tanztherapeutin. »Fokussieren Sie! Was haben Sie gespürt? Womit war
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