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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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mit den Augen herumgeblitzt.
    Er war damals manchmal in den Laden gekommen. Wenn er sie ansah, schnappte etwas in Lottis Brust, das sich anfühlte wie ein zarter Fischmund, durch den ein sehr feiner Angelhaken getrieben wird. Sie verstand nicht, warum ihr das gefiel, es tat ja weh. Aber gleichzeitig war ihr nach Kichern zumute.
    Alfons Fischer von Weikersthals Geschäft für feine Herrenwäsche lag neben dem Hotel Excelsior, und Lotti war im ersten Lehrjahr. Sie hatte gerade ihr Pflichtjahr hinter sich, bei der Familie Rhodendal, sie hatte dort das Linoleum im Kinderzimmer mit dem Bohnerbesen poliert, jeden Abend, bis die Schrammen der Hausschuhe verschwanden, sie hatte die Teppichfransen im Salon mit den Händen in parallele Reihen gelegt. Und sie hatte gelernt, die Taschentücher so zu plätten, dass sich die gerollten Säume nicht verdrehten und alles passgenau übereinanderlag auf den Wäscheplatten, mit einem verzierten Gummiband.
    »Ich kann dir ja gar nichts mehr beibringen, Mädel«, sagte der Chef.
    Und weil sie außerdem nicht berlinerte, durfte sie bald allein im Laden stehen und verkaufen und mit den Verwaltern der Gutshöfe sprechen, die von weit her aus Ostpreußen kamen und die Hemden und Wäsche für die Gutsherren holten.
    An der Tür klingelte die Glocke.
    »Die Wäsche für Mokischken bitte«, sagte der junge Mann, als er wieder einmal den Laden betrat.
    Sie hörte zum ersten Mal seine Stimme, sie war etwas rau. Lotti sah in der Liste nach, die sie selbst geschrieben hatte, aber es gab keine Familie Mokischken.
    »Entschuldigung, wie ist Ihr Name?«
    »Johann Aschmutat.«
    Er hatte leicht schräg gestellte blaue Augen mit einer scharfen Falte dazwischen. Lotti wurde rot, sie verstand nichts mehr. Sie dachte: Mokischken, ist das vielleicht ein Geheimsprachenwort, das ich kennen müsste?
    »Mokischken?«, stotterte sie und blätterte fahrig die Liste durch, wo auch kein Aschmutat verzeichnet war, »Mokischken, was heißt denn das?«
    »Hören Sie das nicht?«
    Es war das erste Mal, dass ein Mann sie siezte, sie wurde so rot, dass sie glaubte zu platzen, zuerst im Gesicht, dann spürte sie, wie die Röte am Hals hinunterglitt und über die Brust und den Bauch. Sie senkte den Kopf und starrte auf die Liste mit den Namen, und weil ihr Kopf auf einmal so leer war, sagte sie innerlich die Namen auf, und gleichzeitig fühlte sie vor sich den Körper des Mannes stehen, der sich nicht rührte und die Energie des Raumes auf sich zog.
    »Mokischken ist dunkel, weil es dort Wälder und Moore gibt. Und gleichzeitig wölbt sich das Licht über den Feldern«, sagte der Mann schließlich.
    »Ach so?«, stotterte Lotti. »Es ist ein Ort? Ein Gutshof?«
    Vor Erleichterung begann sie zu weinen.
    »Ja«, sagte er. »Mokischken ist zum Weinen schön. So wie Sie.«
    Sie dachte, dass er gleich loslachen würde, aber die Falte zwischen seinen Augen blieb scharf, die schmalen Lippen waren leicht zusammengepresst, und plötzlich verwandelte sich alle Peinlichkeit in Glück. Diese Wandlung geschah so schnell, dass Lotti für einen Moment nicht mehr wusste, wer sie war. Als es ihr wieder einfiel, war sie zugleich eine andere.
    »Wie heißt denn der Gutsherr?«, fragte sie.
    »Graf Hohendorff«, sagte Johann Aschmutat.
    Sie ging ans Regal und holte das Paket, er nahm es und zahlte, und seine Stirn war jetzt glatt.
    Als sie abends im Bett lag und der Bruder sie necken wollte und mit dem Kissen nach ihr warf, lächelte sie und verzieh ihm und gönnte ihm alles, die Speckwürfel, die er aufs Brot bekam, sein Fotolabor im Korridor, sein Saxophon, sein Studium, das er bald antreten durfte. Sie dachte die ganze Zeit an ihre Frage und Johann Aschmutats Antwort und wiederholte unablässig im Geiste: Wie heißt denn der Gutsherr? – Graf Hohendorff – Wie heißt denn der Gutsherr – Graf Hohendorff … Sie wusste, dass sie nach etwas anderem gefragt hatte als nach dem Namen des Gutsherrn, und sie wusste, dass Johann Aschmutat etwas anderes geantwortet hatte, dass die Worte von einem Zierband umgeben waren wie damals die Wäsche im Schrank der Familie Rhodendal, und sie wusste, dass er es wusste, und dass er wusste, dass sie es wusste, und immer so weiter, bis die Ewigkeit begann. Sie fürchtete sich vor nichts mehr, weil es Mokischken gab. Sie wusste, er würde wiederkommen, sie wusste, er würde für immer an sie denken. Auf einmal schrumpfte die große Welt, die sie so gern beobachtet hatte, damals, am Anhalter Bahnhof, in sich

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