Teufelsflut
seinen Pass.« Charpentier warf einen Blick in sein Notizbuch. »Es war ein gewisser Jarvis Bäte. Offenbar ein Offizier der englischen Special Branch.«
»Und um wen handelte es sich bei der zweiten Leiche?«, fragte Paula.
»Das wissen wir nicht. Aber es war ein sehr viel kleinerer Mann, der bis aufs Skelett verkohlt war.«
»Mervyn Leek«, sagte Tweed. »Ebenfalls Offizier bei der Special Branch.«
»Vielen Dank, Sir«, sagte Charpentier und notierte sich den Namen.
»Und dann haben wir in einem dritten Wagen, einem Audi, der ziemlich weit von den anderen beiden entfernt stand, noch eine Leiche gefunden.«
Das war
mein Wagen,
dachte Trudy und beugte sich noch weiter vor. Was kam als Nächstes?
»Was diese Leiche angeht«, fuhr Charpentier fort, »so bin ich wirklich froh, dass mein oberster Chef Arthur Beck vor einer Stunde endlich in Bern eingetroffen ist. Sein Flugzeug hatte erhebliche Verspätung. Wegen des Toten in diesem Auto wird es vermutlich diplomatische Verwicklungen geben. Er war bis zur Hüfte verkohlt, aber sein Oberkörper war so gut wie unversehrt. Auch hier hat die Feuerwehr offenbar Schaum in den Wagen gepumpt. Ein Feuerwehrmann hat mir den Inhalt der Brusttasche des Mannes gebracht. Darunter war auch ein Pass, der den Toten als Vance Karnow auswies. Wie wir wissen, war er einer der wichtigsten Männer in Washington.«
»War noch eine weitere Leiche in dem Wagen?«, fragte Trudy.
»Nein«, antwortete Charpentier, den die Frage zu überraschen schien.
»Warum?«
»Weil ein so wichtiger Mann doch selten allein reist. Meistens haben solche Leute einen Chauffeur.«
»Wir haben jedenfalls keinen gefunden. Aber es sind zwei Menschen aus der Garage entkommen.«
Trudy konzentrierte sich darauf, eine Falte an ihrem Hosenanzug glatt zu streichen. Als sie danach zu Tweed sah, waren ihre Augen hart wie Stein. Sie und Tweed hatten offenbar dasselbe gedacht.
Bancroft.
»Entkommen?«, sagte Tweed. »Wie ist ihnen denn das gelungen?«
»Sie sind durch einen Notausstieg hinaufgeklettert und weggerannt. Ich habe einen von ihnen sogar selbst noch über den Platz laufen gesehen, aber bevor wir ihn aufhalten konnten, war er verschwunden.«
Tweed und Trudy sahen sich abermals an. Er wusste, was sie dachte. Sie versuchte, sich die Gestalt ins Gedächtnis zu rufen, die vor ihr die Leiter hinaufgestiegen war. Wenn sie geahnt hätte, dass es Bancroft gewesen war, hätte sie ihn mit ihrer Beretta in den Rücken schießen können.
»Haben Sie eigentlich irgendwelche Waffen in den Fahrzeugen gefunden?«, fragte er, um die Aufmerksamkeit des Schweizers von dem Notausstieg abzulenken.
»Ja«, antwortete Charpentier. »Jarvis Bäte hatte in seiner rechten Hand – oder sagen wir besser: in dem, was von seiner rechten Hand noch übrig war – eine Pistole. Und in dem Citroen lag neben dem Mann, den Sie den Affen genannt haben, eine Maschinenpistole. Aus beiden Waffen ist geschossen worden.«
»Dann war es also eine Schießerei«, sagte Tweed, »die dadurch eskaliert ist, dass die Kugeln mehrere Benzintanks in Brand gesteckt haben.«
»Exakter hätte ich es auch nicht zusammenfassen können«, sagte Charpentier und erhob sich. »Für heute Nacht habe ich erst einmal genug. Morgen, nach den Autopsien, wissen wir mehr. Ich beneide die Pathologen ja nicht gerade um diesen Job. Arthur Beck kommt morgen früh nach Genf und möchte mit Ihnen reden, Mr. Tweed. So, nun muss ich aber gehen. Sie sind bestimmt alle sehr müde…«
Nachdem Charpentier das Zimmer verlassen hatte, schaute Tweed noch einmal hinüber zu Trudy. Als er ihren entschlossenen, stahlharten Blick sah, wusste er, dass er sie mit nach Annecy nehmen würde.
24
In seinem Hotelzimmer über dem Bahnhofsplatz hatte der Gelbe Mann kein Licht angeknipst und sich einen Stuhl direkt vor das Fenster gestellt, wo er durch die Gardine hindurch die Vorgänge auf dem Platz hervorragend im Blick hatte.
Von diesem Logenplatz aus hatte er durch sein Nachtglas mit angesehen, wie Tweed und Newman vor dem Bahnhof gestanden hatten und wie Minuten später die Meute der Streifenwagen auf dem Platz erschienen war und alle Ausgänge blockiert hatte. Bald darauf hatte er gedämpfte Schüsse und Explosionen aus der Tiefgarage gehört, was ihn aber nicht sonderlich berührt hatte.
Später, als er Tweed, Newman, Paula Grey und eine dunkelhaarige Frau aus dem Bahnhof herauskommen sah, hatte er die Perlenkette mit dem rasiermesserscharfen Draht in die freie Hand genommen und
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