Teufelsflut
dem das schlechte Wetter nichts auszumachen schien, stand in seinem dünnen Jackett da und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Verteilen Sie sich«, sagte Tweed barsch, nachdem er sich kurz umgesehen hatte. »Wenn wir so nahe beieinander stehen, geben wir ein viel zu gutes Ziel ab.«
»Ist es nicht schrecklich trist hier?«, sagte Paula, die zwischen Tweed und Burgoyne stand.
Auf der Straße lag Schnee, und die Berge ringsum waren tief verschneit.
Die Ortschaft umfasste nur ein paar Häuser mit schrägen Dächern, deren Wände im Erdgeschoss verputzt waren und weiter oben aus dunklem Holz bestanden. Überall waren die Fensterläden zugeklappt. Die zwei Hotels, die Paula sah, hatten beide ein Schild im Fenster.
Fermé
stand darauf. Geschlossen.
»Ich würde sagen, der ganze Ort ist
ferme«,
schnaubte Paula und ging hinüber zu Serena, um zu sehen, ob diese jetzt besser gelaunt war.
Tweed stand zusammen mit Burgoyne unter einem großen Baum.
Ringsum war alles still. Gespenstisch still. Tweed hatte das unheimliche Gefühl, sich in einer Geisterstadt zu befinden, deren Bewohner auf die Bahamas geflüchtet waren, und dachte, dass er noch nie an einem Ort gewesen war, In dem die Stille ihm so erdrückend vorgekommen war.
Obwohl es mitten am Nachmittag war, hatte er den Eindruck, als könnte jeden Augenblick die Nacht anbrechen.
»Was haben Sie vor, wenn all das vorbei ist?«, fragte Tweed.
»Gute Frage.« Burgoyne verzog das wettergegerbte Gesicht zu einem schiefen Lächeln. »Ich schätze, ich werde mich wieder in meine Hütte in Rydford zurückziehen, und sehen, ob meine Freundin Coral Langley noch an mir interessiert ist. Vielleicht hat sie inzwischen ja schon einen anderen.«
Tweed beschloss, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, um Burgoyne über das Ableben seiner Freundin zu informieren.
»Ist Rydford klein?«, fragte er stattdessen.
»Klein ist gar kein Ausdruck. Es würde locker in meine hohle Hand passen. Dort passiert nie etwas.«
»Wahrscheinlich klettern Sie öfter auf einen dieser Tors.«
»Bisher bin ich lediglich auf dem Rough Tor gewesen. Komisch, da bin ich sonst fast überall in der Welt herumgegondelt, aber in meiner nächsten Umgebung habe ich noch nicht viel gesehen.«
Burgoyne warf die Arme in die Höhe, drehte sich um die eigene Achse und wackelte mit Bauch und Hüften, während er Tweed mit seinen dunklen Augen einladend anblinzelte. Tweed hörte, wie Paula, die das Schauspiel aus der Ferne beobachtete, vergnügt vor sich hin kicherte.
Burgoyne ließ die Arme sinken und nahm wieder seine ursprüngliche Stellung ein.
»Bauchtanz in Istanbul«, erklärte er, obwohl Tweed sehr wohl verstanden hatte, was die kleine Vorführung zu bedeuten hatte. »Nicht ganz echt, vielleicht«, sagte er mit einem Seitenblick auf Paula, »aber was ist noch echt in der heutigen Welt? Alles bricht vor unseren Augen zusammen. Es gibt keine Ehre mehr, niemand steht mehr zu dem, was er einem in die Hand versprochen hat. Alles vom Winde verweht, wie Margaret Mitchell einmal über den amerikanischen Bürgerkrieg geschrieben hat.«
»Waren Sie schon einmal in Amerika?«
»Ich?« Burgoyne breitete wieder die Arme aus und tanzte einmal im Kreis herum. »Ich war doch schon überall. Und immer allein. Deshalb bin ich auch zum Nachrichtendienst der Armee gegangen und schließlich Spion geworden, der auf eigene Faust operiert. Ich konnte es einfach nicht ertragen, mich von irgendwelchen Volltrotteln herumkommandieren zu lassen.«
»Sie werden Ihre Reisen vermissen«, sagte Tweed bedächtig.
»Wer sagt denn, dass ich mich jetzt aufs Altenteil zurückziehe?« Er grinste Paula, die ihn fasziniert beobachtete, fröhlich an. »Im Gegenteil. Ich habe vor, im Ruhestand ziemlich unruhig zu sein.
Und Sie, Paula, sollten sich vor mir in Acht nehmen. Wenn ich Sie mal zum Tanzen ausführe, wird es ein höllisches Vergnügen.«
Burgoyne machte ein paar Walzerschritte hinüber zum Stamm der mächtigen Fichte, die ihre Aste über ihn und Tweed breitete. Tweed hörte ein Geräusch und nahm aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Dort, wo die Straße eine Biegung nach rechts machte, erschien auf einmal ein alter Mann.
Der Mann hinkte und stützte sich mit der linken Hand auf einen Stock.
Die rechte hielt er auf dem Rücken, sein Kopf war dick einbandagiert.
Das Gesicht war voller weißer Salbe.
»Sieht aus, als käme er direkt aus einem Krieg«, sagte Burgoyne. »Aber wahrscheinlich hat er bloß einen
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