Teufelsflut
noch einmal gründlich im ganzen Restaurant umsah. Der gelb-blonde Mann war nirgends zu sehen.
In dem Warteraum hinter den Aufzügen entdeckte er Paula, die so tat, als würde sie sich für eine der dort ausgestellten Antiquitäten interessieren. Tweed ging zu ihr hinüber.
»Wo ist denn Ihre schöne Begleiterin?«, fragte Paula.
»Sie hat mir den Laufpass gegeben. Fahren wir nach unten und suchen Newman.«
»Und was dann?«
»Wir gehen zu unserem Termin mit Professor Saafeld in Holland Park.
Dort werden wir erfahren, ob das, was wir in Appledore gesehen haben, am Ende vielleicht doch nur ein Sturm im Wasserglas gewesen ist. Es wäre ja immerhin möglich, dass es sich bei dem Ganzen um die Auswirkungen einer Ölpest gehandelt hat, obwohl ich persönlich glaube, dass wir es mit etwas sehr viel Gefährlicherem zu tun haben.
6
Saafelds Haus in Holland Park war fast so groß wie ein Herrenhaus auf dem Land. Es besaß drei Stockwerke und stand etwas zurückgesetzt von der Straße in einem weitläufigen Garten. Nachdem Tweed und Paula das Grundstück durch ein schmiedeeisernes Tor betreten hatten, gingen sie auf einer kurzen, von hohen Rhododendronbüschen gesäumten Auffahrt auf das imposante Gebäude zu.
»Schön ruhig ist es hier«, sagte Paula. »Das ist mir schon bei meinem letzten Besuch aufgefallen.«
Tweed tippte in einem Kasten neben der Haustür eine Reihe von Ziffern ein und wartete darauf – während Paula eine Bemerkung über den hohen Sicherheitsstandard des Gebäudes machte –, dass ihnen jemand öffnete.
Bei ihrer Annäherung hatten von Sensoren gesteuerte Scheinwerfer Haus und Garten in ein gleißend helles Licht getaucht. Normalerweise hätte sich Paula nach etwaigen Angreifern umgesehen, aber sie wusste, dass Pete Nield ihnen gefolgt war und sich jetzt irgendwo im Gebüsch versteckte. Draußen auf der Straße konnte sie außerdem Newman erkennen, der neben seinem Mercedes stand. Wo Butler war, wusste sie nicht.
An der Tür des Hauses schaute jemand kurz durch ein kleines Guckfenster. Dann hörte Paula, wie sich in drei Schlössern hintereinander Schlüssel drehten, und schließlich ging die Tür langsam auf.
Dahinter stand ein großer Mann, der sie und Tweed ins Haus bat.
Nachdem sie in einen kurzen Gang mit Holzboden getreten waren, machte der Mann die Tür wieder zu und schloss sie sorgfältig ab.
Charles Saafeld war etwa sechzig Jahre alt, etwas größer als Tweed und auch sonst eine beeindruckende Erscheinung. Seine rundliche Figur verriet, dass er weder Essen noch Trinken verschmähte, und sein rosiges Gesicht sah aus wie das eines Bonvivants, obwohl es zugleich eine natürliche Autorität ausstrahlte. Saafeld, der einen bis oben zugeknöpften weißen Laborkittel trug, sah Paula über seine Halbbrille an.
»Willkommen in meinem Gruselkabinett, Miss Grey. Sie sehen aus, als ob Sie was vertragen könnten. Soweit ich mich erinnere, sind Sie nicht allzu zimperlich.« Er blickte hinüber zu Tweed. »Kommen wir zur Sache«, sagte er. »Ziemlich merkwürdige Geschichte, in die Sie da hineingeraten sind.«
Saafeld sprach in kurzen, stakkatoartigen Schüben. Sein Benehmen war zwar freundlich, aber er schien Zeitverschwendung zu verabscheuen. Er geleitete Paula und Tweed ohne weitere Umstände zu einer massiven Tür am Ende des Gangs, wo er in einem Kästchen, das dem an der Eingangstür glich, einen Nummerncode eingab.
»Seit meinem letzten Besuch haben Sie die Sicherheitsmaßnahmen hier noch einmal enorm verstärkt«, sagte Paula. »Und wieso sprechen Sie von einem ›Gruselkabinett‹?«
»Diesen Ausdruck hat einmal eine Boulevardzeitung geprägt. Die Reporter glaubten, ich würde irgendwelche unheilvollen Experimente an meinen Leichen vornehmen. Sie kennen ja die Presse. Die Boulevardblätter werden von Jahr zu Jahr reißerischer. Vorsicht, Treppe! Halten Sie sich gut am Geländer fest.«
Saafeld stieg hinab in einen weiträumigen, voll klimatisierten Keiler, der eher einem Labor als einer Leichenhalle glich. An der Decke liefen Röhren aus Plexiglas entlang, die zu Retorten und anderen chemischen Gefäßen auf weißen Plastiktischen führten. In der hinteren Wand waren mehrere Metallklappen eingelassen, hinter denen die Leichen lagen.
Ein kleiner, agiler Mann mit einem Nussknackerkinn starrte die beiden Neuankömmlinge mit lebhaften Knopfaugen an, als wären sie frische Versuchskaninchen.
»Das ist Dr. Fischer«, stellte Saafeld den Mann im weißen Laborkittel vor. »Er ist ein
Weitere Kostenlose Bücher