Teufelsfrucht
Abdrücke, welche die schweren Springerstiefel in dem lößhaltigen Beet hinterlassen haben mussten, hätte selbst ein Blinder nicht übersehen können. Nun waren sie verschwunden. Lediglich vor dem Küchenfenster fand er einen halb verwischten Abdruck einer grobstolligen Sohle, die definitiv zu keinem seiner Schuhe gehörte.
»Hier ist absolut nichts, Pekka«, sagte Kieffer. »Wenn ich das Manderscheid auftische, wird er mir kein Wort glauben. Er hält mich ja ohnehin nicht für sehr vertrauenswürdig.«
»Vermutlich hast du recht. Ich muss jetzt eigentlich ins Büro, aber mir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dich hier alleine zu lassen, mein Freund. Was ist, wenn die Typen wiederkommen?«
»Mach dir um mich keine Sorgen, Pekka. Spätestens ab zehn Uhr ist hier unten alles voller Touristen, die durch die Gassen laufen und den Bock angaffen. Ich kann mir deshalb kaum vorstellen, dass die Typen tagsüber wiederkommen. Und im Übrigen habe ich ohnehin nicht vor, lange hierzubleiben. Ich muss nur kurz packen, ich verreise nämlich.«
Vatanen musterte ihn misstrauisch. »Bestimmt nur zur Erholung und ganz ohne Hintergedanken, was? Du verdammter moselfränkischer Dickschädel! Darf ich erfahren, wohin die Reise geht?«
»Nach Genf.«
»Und was machst du dort?«
»Auf dem Lac Léman findet morgen Abend eine spektakuläre Küchenshow statt. Es handelt sich um ein Galadinner auf einer Luxusyacht, in Anwesenheit des berühmten Käseveredlers Gero Wyss. Das werde ich mir nicht entgehen lassen.«
[Menü]
28
Nachdem er Vatanen verabschiedet hatte, packte Kieffer einige Klamotten in eine kleine Reisetasche und zog einen seiner neuen Anzüge an. Dann rief er Claudine im Restaurant an. Er fragte sie, ob es während seiner Abwesenheit irgendwelche Vorkommnisse gegeben habe. Schließlich war es denkbar, dass die Verbrecher auch sein Restaurant auseinandergenommen hatten.
»Nein, es ist ganz ruhig, Xavier. Ach ja, gestern hat jemand angerufen und nach dir gefragt. Aber ich habe ihm gesagt, er soll es heute noch mal versuchen.«
»Wer war es?«
»Irgendein Franzose. Er sagte, er sei Weinhändler und rufe wegen einer Nachfrage zu einer Bestellung an. Wollte wissen, ob du im Restaurant bist oder wann du wieder reinkommst. Ich habe ihm gesagt, du kämst vermutlich erst heute wieder.«
Kieffer hatte keine Bestellung bei einem französischen Weinhändler aufgegeben. Das meiste, was er benötigte, erwarb er direkt bei den Moselwinzern zwischen Schengen und Grevenmacher. Den Rest bekam er von Colao, einem zuverlässigen und exzellent sortierten Großhändler in Esch-sur-Alzette. »Dieser Weinhändler«, fragte Kieffer, »was hatte der für einen Akzent?«
»Einen ziemlich breiten, südfranzösischen.« Sie lachte. »Er sagte immer ›wäng‹ statt › vin ‹. Wie ein Marseiller Gassenjunge.«
So hatte einer der beiden Männer ebenfalls geklungen, dachte Kieffer. Nach dem Anruf im »Deux Eglises« waren die beiden Männer vermutlich zu seinem Haus gefahren.
»Die Frage, die der Weinhändler hatte, die treibt mich übrigens auch um, Xavier.«
»Wie bitte?«
»Kommst du heute rein? Nächste Woche stehen eine Hochzeit und ein Geburtstag im Kalender, und ich würde mit dir gerne die Menüfolge und die notwendigen Bestellungen durchgehen.«
Kieffer hatte die beiden Großveranstaltungen völlig vergessen. Größere Gesellschaften zu betreuen, war für seine kleine Mannschaft stets ein Kraftakt. Zumindest wollten die beiden Gruppen, soweit er sich richtig entsann, nicht à la carte essen, sondern hatten sich für ein standardisiertes Menü entschieden.
»Gut, ich komme gleich. Ich muss dann aber später wieder weg, ich habe noch einen auswärtigen Termin. Zum Wochenende bin ich wieder da, dann kümmere ich mich um die Vorbereitung.«
Sie erwiderte nichts, was er als Zeichen deutete, dass sie sauer war. Es ließ sich nicht ändern. Die Veranstaltung in Genf würde vielleicht auf Monate die einzige Gelegenheit für ihn sein, den mysteriösen Gero Wyss einmal aus der Nähe zu sehen. Kieffer fuhr ins Restaurant. Nachdem er mit seiner Souschefin die Menüfolge abgesprochen und diese an die Kunden gefaxt hatte, ging er in den Keller. Das Untergeschoss des »Deux Eglises« war weitaus größer, als der Grundriss des Gebäudes erahnen ließ. Ähnlich wie im Bockfelsen hatten Napoleons französische Militäringenieure auch unter dem ehemaligen Wachhäuschen mehrere kleinere Stollen in den felsigen Hang des Kirchbergs
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