Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Teufelsfrucht

Teufelsfrucht

Titel: Teufelsfrucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
Vom Netzwerk:
Sulpice so eng ist wie in einer Teeniemuschi. Aber das war’s dann auch. Es gibt riesige Kombüsen, lange Schläuche, vollgestopft mit Salamandern, Mikrowellen, Dampfdruckgarern, todos los cachivaches. Wenn du von hinten nach vorne willst, brauchst du eine Ewigkeit, um an den ganzen fettärschigen commis vorbeizukommen. Und dann der Laufweg. Madre de dios, das ist das Schlimmste.«
    »Wie sieht der aus?«
    »Alles muss drei Decks hoch. Wir haben cloches aus Plastik, pero: Wenn wir das Zeug halbwegs warm an die Tische bekommen wollen, müssen wir sehr, sehr rápido sein.«
    »Wie teilen wir uns auf?«
    »Ich werde die ganze Zeit durch die Küchen laufen, meinen beiden souschefs die cojones massieren und zusehen, dass uns nicht alles um die Ohren fliegt. Hambichler soll die Logistik machen – Pass, Kellner, Gänge annoncieren. Hier kommst du ins Spiel, viejo.«
    Kieffer ahnte, was nun kam, sagte aber nur: »Ja?«
    »Das Problem ist, dass Hambichler rendido ist. Der steht kurz vor dem Exitus.«
    »Was hat er denn?«, fragte Kieffer und zündete sich eine weitere Ducal an. Esteban zog die Mundwinkel nach unten und schaute auf seine Hände. »Das kolumbianische Marschierpulver, ché. Dass der Mann noch eine Nasenscheidewand besitzt, ist ein medizinisches Wunder. Und … allerlei anderes Zeug.«
    Kieffer war nicht sonderlich überrascht. Der Konsum von Aufputschmitteln und illegalen Substanzen war unter Köchen nichts Ungewöhnliches. Zum einen zog das Metier viele schräge Vögel an. Zum anderen hatten viele Kollegen Probleme, die brutalen 16-Stunden-Tage durchzuhalten – und griffen deshalb zu Amphetaminen, Kokain oder etwas anderem, was sie auf den Beinen hielt.
    Auch Schmerzmittel waren Usus. Das stundenlange Stehen auf dem harten Küchenboden, die stets leicht vornübergebeugte Haltung und der stetige Wechsel zwischen sengender Hitze am Posten und eisiger Kälte im Kühlhaus führten zwangsläufig zu Zipperlein. Rheuma, Rückenprobleme, kaputte Knie, chronisch schmerzende Füße – all das waren ganz normale Berufskrankheiten, von zersäbelten Fingersehnen und Brandverletzungen einmal ganz abgesehen.
    Fast alle Köche litten erbärmlich und bissen die Zähne zusammen. Wer jammerte, galt als Weichei, getreu dem Motto: »If you can’t stand the heat, stay out of the kitchen.« Kieffer selbst hatte jahrelang verschreibungspflichtige Barbiturate gefressen, die er von einem der pâtissiers bezogen hatte.
    Hambichler ging auf die sechzig zu. Der Bayer hatte, soweit Kieffer informiert war, bereits mit zwei Sternerestaurants Schiffbruch erlitten. Wahrscheinlich war er hoch verschuldet. Nur deshalb, so vermutete Kieffer, hatte Hambichler seinen trotz aller Skandälchen immer noch respektablen Namen für diesen bizarren Küchen-Wanderzirkus hergegeben, in dem die Gäste von Akrobaten in Hummerkostümen und singenden Fischen unterhalten wurden, während sie ihre cassolettes de Saint-Jacques verspeisten. Irgendwie konnte Kieffer nachvollziehen, dass sich all dies nur mit viel Alkohol und illegalen Drogen ertragen ließ.
    »Dass er was nimmt, stört ja niemanden, Leo«, sagte Kieffer. »Aber wenn er kurz vor dem Exitus steht, dann gehört er nicht an den Pass einer Großküche.«
    Esteban schaute Kieffer an und machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Exitus? Wer sagt denn bitte so was?«
    »Du, Leo.«
    »Na, da hab ich ausnahmsweise etwas übertrieben.Hambichler wird schon wieder. Na ja, zumindest wird er heute Abend pünktlich am Pass stehen und es irgendwie durchziehen. Aber in dieser Verfassung bringt der Kerl bestenfalls 70 Prozent, und das kostet mich Zeit, haufenweise Zeit, die ich verdammt noch mal nicht habe. Ché, ich will, dass du regelmäßig nach oben gehst und checkst, was auf die Tische kommt und in welcher Geschwindigkeit. Die Logistik ist es, das kann uns den Arsch kosten, entendés? Kriegst du das auf die Reihe?«
    »Kein Problem, Leo.«
    »Und wenn da oben irgendwelche Scheiße abgeht, dann sagst du mir Bescheid, inmediatamente, sí?«
    »Ist doch klar.«
    »Bien.« Esteban klatschte sich auf die Oberschenkel und stand auf. »So, ich muss jetzt noch ein paar Leuten in den Arsch treten. Lass dir von Anita, meiner Assistentin, einen All-Area-Pass geben. Damit kannst du dich auf der Sulpice frei bewegen. Wir treffen uns um 17 Uhr in la cocina.« Dann setzte er sich das Headset auf und verschwand.

[Menü]
    30
    Die Saint Sulpice war nicht einfach zu finden. Weil der sonnige Spätsommer binnen eines Tages in

Weitere Kostenlose Bücher