Teufelsfrucht
etwas lallte. »Im ›Deux Eglises‹, in Luxemburg.«
»Hab i’ noch nie g’hört.«
»Ein kleiner Gasthof, keine Sterne. Wir versuchen lediglich, die lokale moselfränkische Küche lebendig zu halten, nicht der Rede wert.«
Hambichler hob tadelnd den Zeigefinger. »Mein lieber Kieffer, machen’s sich net so kloa. Esteban is a echta Fan vo’ eahna.«
»Ist er?«
»Aber ja – und i’ sag immer: A g’scheite Regionalküche, das ist die wahre Kunst.« Hambichlers hängende Schultern sackten noch einige Zentimeter weiter nach unten, sein Gesicht nahm einen wehmütigen Ausdruck an. »Glauben’s mir, i’ würd auch lieber wieder bayerische Spezialitäten kochen, in Waging am See. Ach! A g’scheites Kronfleisch mit Gwixtn! Bauchstecherln mit Kraut! Aba da huift nix. Später, da kemma vielleicht noch a bisserl in der Schiffsmessen sitzen und an Willi kippen. Aber jetzt miaßma erst a’mol d’ Viehcha da drunt’ fuattern.«
»Wie sehen wir denn aus?«, fragte Kieffer.
»Passt, soweit ich’s grad überseh. A paar Austern fehl’n uns no’, aber Leo b’sorgt grad welche.«
»Die Laufwege sind problematisch, sagt Leo.«
»Sind’s?«
»Das hat er mir erzählt. Sie sind die Kellnerroute doch bestimmt schon einmal abgelaufen, Herr Hambichler.«
»Also bittschön: Alois! Unter Kollegen.«
»Xavier. Aber sag, wie ist denn nun dein Eindruck, kriegen wir die Speisen schnell genug nach oben?« Hambichler blinzelte ihn verständnislos an.
»Ehrlich g’sagt, bin ich’s no’ ned abg’laufen. ’S war oachfach z’vui los hier, ’s werd scho’ passen.«
Das, dachte Kieffer bei sich, kann ja heiter werden. Der Mann, der am heutigen Abend für Pass und Auslieferung verantwortlich ist, hat keine Ahnung, wie lange die Speisen vom Küchenausgang bis zu den Tischen unterwegs sind. Er sah, dass Hambichler orientierungslos umherschaute. Dann begann der Bayer, heftig zu husten, und bellte wiederholt in sein nicht mehr allzu sauberes Taschentuch. Als er sich wieder beruhigt hatte, sagte Kieffer: »Macht gar nichts, Alois, ich kümmer mich drum.« Er nickte Hambichler noch einmal zu und ging zum Ausgang der Kombüse. Dann schaute er auf seine Uhr, merkte sich die genaue Zeit und lief los.
Nachdem er mehrere Rolltreppen und Durchgänge passiert hatte, erreichte Kieffer den Saal, in dem das Galadinner stattfinden sollte. Er mochte an die 1200 Quadratmeter messen und befand sich auf dem vorderen Teil des Oberdecks. Die drei Außenwände waren verglast und gewährten den Gästen bei besserem Wetter vermutlich einen spektakulären Blick auf die Ufer des Genfer Sees und die dahinterliegenden Berge. Heute sah man nur gräuliche Suppe. Lichttechniker und Bühnenbauer waren dabei, ein großes Podest und eine monströse Lichtanlage zu installieren. In einer Ecke übten mehrere als Meerjungfrauen verkleidete junge Damen in Paillettenkostümen eine Tanzeinlage.
Kieffer schaute auf seine Uhr. Zwei Minuten hatte erbenötigt. Von hier musste der Kellner noch zu einem der Tische, dort seine sechs Teller abladen und wieder zurück in die Kombüse laufen. Fünf Minuten pro Tour also, eher sechs.
Das machte theoretisch 10 Touren beziehungsweise 60 Teller pro Stunde. So durfte man jedoch nicht rechnen, die Gäste sollten ihr Essen ja gleichzeitig bekommen. Binnen 10, maximal 15 Minuten hatte ein Gang auf sämtlichen Tischen zu stehen.
Zehn Minuten, 720 Portionen – alle acht Sekunden musste ein Teller platziert werden. Da ein Kellner sechs Minuten je Tour brauchte, konnte man ihn maximal für zwei Touren einplanen – also für zwölf Teller. Folglich brauchte Fantazzo 60 Kellner. Was voraussetzte, dass es keine Pannen gab. Es gab aber immer welche, weswegen Kieffer schätzte, dass 75 Servicekräfte das absolute Minimum darstellten, plus Springer und Weinkellner.
Kieffer ging zu einer der verlassenen Bars am Rande des Festsaals, mixte sich einen Pastis und zündete sich eine Ducal an. Warum hatte er sich bloß auf diesen Schwachsinn eingelassen? Weil er möglichst nahe an Wyss heranwollte, natürlich. Das bizarre Küchenkabinett der Herren Hambichler und Esteban interessierte ihn eigentlich nicht. Aber da er nun einmal seine Hilfe angeboten hatte, fühlte er sich verpflichtet, seinen Job zu erledigen, so gut das eben möglich war.
In der Küche sprach er mit Hambichler. Wie sich herausstellte, hatte der mit lediglich 40 Kellnern geplant – aus Kostengründen, wie er sagte. Esteban trug die schlechte Nachricht mit Fassung. Er
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