Teufelsfrucht
nicht mal ein Stück Zander anbraten, ohne dass es trocken wird, geschweige denn eine Menüfolge im Kopf behalten. Und das mir – mir! Wie soll ich so 800 Leute bekochen?«
Kieffer beeilte sich, etwas zu sagen, bevor Esteban seine nächste Tirade abfeuerte. »Leo, ich habe über unser Gespräch nachgedacht. Über eine Zusammenarbeit. Ich bin ohnehin in der Gegend, wie wäre es, wenn ich mir angucke, was ihr da macht, und euch helfe? Als tournant, völlig unverbindlich, du sagst mir, was ich machen soll.«
Esteban schien einen Moment lang nicht zu wissen, was er sagen sollte. Der Argentinier schwieg mehrere Sekunden – ein Kieffer eigentlich unbekannter Zustand. Die Offerte musste ihn wirklich verblüfft haben.
Schließlich sagte Esteban: »Ché, kannst du morgen um zehn im Hotel Président Wilson sein?«
»Ich werde da sein.«
»Excelente! Und jetzt muss ich mich um Hambichler kümmern. Und meine Fernsehshow muss ich auch noch vorbereiten, die läuft am Samstagabend im französischen Fernsehen, du kennst sie, ja?« Bevor Kieffer die Gelegenheit zu einer Erwiderung hatte, fuhr Esteban fort. »Natürlich kennst du sie. Alle gucken das. Und weil es alle gucken, muss ich da jedes Mal mit einem Kracher auflaufen. Und der fehlt mir noch. Madre de dios, ich bezahle eine eigene Redaktion, nur dafür! Leute, die das für mich vorbereiten sollen. Aber alles Primaten! Verstehen vom Kochen so viel wie eine Jungfrau vom Vögeln. Wenn man nicht alles selber macht! Aber das ist eben mein Los. Hasta mañana!« Kieffer wollte noch etwas antworten. Aber Esteban hatte bereits aufgelegt.
[Menü]
29
Das Wetter schlug um. Kurz nach Kieffers Abfahrt hatte es zu regnen begonnen, später hagelte es sogar. Es war schon kurz nach acht Uhr, als er in Genf ankam. Das Hotel, das Esteban ihm genannt hatte, war ein Fünfsternehaus am See. Weil seine Reiseaktivitäten allmählich ins Geld gingen, hatte er stattdessen in einer Backpacker-Pension nahe der Universität reserviert. Sein Zimmer war klein, düster und roch durchdringend nach jenem grünen Plastik, aus dem Tisch, Wandverkleidung und Bett bestanden. Kieffer stellte seine Tasche ab, legte die Glock in das Schließfach und beschloss, dass er hier nicht mehr Zeit als nötig verbringen würde.
Als Erstes ging er abendessen. In einer kleinen Brasserie in der Nähe bestellte Kieffer sich Genfer longeoles, grobe Schweinswürste mit Fenchel. Dazu trank er ein Glas fruchtigen Gamay. Beim Käse studierte er nochmals das Programm des Kongresses. Die eigentliche Veranstaltung fand im Palais des Expositions am Flughafen statt. In das Messezentrum zu gelangen, war ohne eine ordnungsgemäße Akkreditierung vermutlich kaum möglich; laut der Webseite des Veranstalters war der Kongress komplettausverkauft. Aber selbst wenn es noch Tickets gegeben hätte, wäre Kieffer der Preis von 2400 Schweizer Franken deutlich zu hoch gewesen.
Außerdem interessierte er sich schließlich nicht für die Vorträge, sondern nur für Wyss. Laut Programm endete der erste Kongresstag mit einer Schifffahrt auf dem Genfer See, die gegen 18.30 Uhr begann. Im Prospekt war das Boot abgebildet, ein relativ großer Kahn namens »Saint Sulpice«, der so aussah, als ob er etlichen Hundert Personen Platz böte. Kieffer bestellte ein weiteres Glas Rotwein. Mit Estebans Hilfe, das hoffte er zumindest, würde er problemlos auf das Schiff gelangen. Um 19 Uhr sollte es dort einen kleinen Empfang geben, um 19.30 Uhr begann Estebans Dinnershow. Wyss’ Rede war im Programm für 20 Uhr vorgesehen, also vermutlich nach dem hors-d’œuvre, aber noch vor dem Hauptgang.
Kieffer zahlte und schlenderte noch ein wenig am Seeufer entlang. In der Dunkelheit sah er in einiger Entfernung ein bunt beleuchtetes, historisches Dampfschiff über den Lac Léman gleiten. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er für den morgigen Abend keinerlei Plan hatte, nicht einmal einen vagen. Sollte er Wyss zur Rede stellen? Oder ihn nach der Kreuzfahrt zu seinem Hotel verfolgen? Er würde improvisieren müssen.
Am nächsten Morgen fuhr Kieffer ins Président Wilson, ein pompöser Kasten aus Stahl und Beton an der westlichen Seepromenade. Vom Concierge erfuhr er, dass Esteban eine Konferenzsuite angemietet hatte, die ihm während seines Aufenthalts in Genf als mobiles Einsatzzentrum diente. Kurz nach einem Anruf des Hotelangestellten erschien eine junge Dame in der Lobby, stellte sich als Estebans persönliche Assistentin vor und geleitete ihn nach oben.
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