Teufelsfrucht
warf lediglich zwei gusseiserne Le-Creuset-Bräter gegen einen Schrank und zertrümmerte einige Teller. Dann hängte er sichan sein Telefon und besorgte binnen weniger Minuten zwei Dutzend weitere Kellner, deren Wucherlohn ihn, so brüllte er es mehrfach durch die Küche, an den Rand der Insolvenz treibe.
Die nächsten hektischen anderthalb Stunden verbrachte Kieffer damit, orientierungslose Servicekräfte und Postenchefs zu instruieren.
Es war nun fast 19 Uhr. Kieffer hatte etwas Sorge gehabt, dass er Wyss’ Rede verpassen würde, wenn er in der Küche festsäße. Doch glücklicherweise waren in den Kombüsen Bildschirme angebracht, auf denen man das Geschehen im Festsaal beobachten konnte.
Die hors-d’œuvres wurden gerade nach oben getragen, als er Wyss auf einem der Monitore entdeckte. Er erkannte den hageren Mann mit dem blonden Meckischnitt sofort. Kieffer beschloss, nach oben in den Festsaal zu laufen.
Als er eintrat, erkannte er den großen Saal kaum wieder. Während er in der Küche gewesen war, hatte die Fantazzo-Crew den Raum in einen Zirkus verwandelt. Über der ausladenden Bühne war ein großes Schild mit Hunderten blinkenden Lampen angebracht, auf dem in bunter Leuchtschrift »Fantazzo di Mare« stand. Lichtkegel tauchten den Saal in ein grünlich-blaues Licht, Laserbeamer warfen stilisierte Meeresmotive an die Decke – Fische, Delfine und Seesterne, die sich langsam im Uhrzeigersinn drehten, als ob sie gemächlich durch die See schwömmen. Zwischen den Tischen flitzten Gaukler und Jongleure umher, deren Kostüme Hummern, Forellen oder Muscheln nachempfunden waren. Links von Kieffer ergötzte ein Taschenspieler im Seepferdchen-Outfit gerade einen Zehnertisch damit, dass er einem derGäste eine protzig aussehende Armbanduhr vor die Nase hielt, die er dem Mann anscheinend Sekunden zuvor unbemerkt entwendet hatte.
Angewidert zog Kieffer die Mundwinkel nach unten. Warum hatte er sich eigentlich den Kopf darüber zerbrochen, ob die Speisen es von der Küche halbwegs warm bis zu den Tischen schafften? Die meisten Gäste würden ihrem Essen ähnlich viel Beachtung schenken wie Fußballfans einer Stadion-Bratwurst.
Kieffer schaute auf seine Uhr. Es war fast halb acht. Er suchte sich einen Platz an der Bar, von dem aus er den Raum im Blick hatte, und bestellte Ricard. Als der Barkeeper ihm Karaffe und Glas hinschob, blieb sein Blick an Kieffers Körpermitte hängen. »Ist etwas?«, fragte der Koch. Dann fiel ihm auf, warum der Mann so glotzte. Seine Jacke war hochgerutscht und gab den Blick auf die Halbautomatik frei, die in seinem Hosenbund steckte. Kieffer merkte, wie er zu schwitzen begann.
Der Barkeeper zuckte jedoch nur mit den Achseln und sagte: »Undercover, was? Für eine Dinnerparty habt ihr hier aber mächtig viel Security.« Dann verschwand er. Kieffer zog rasch sein Küchenjackett über die Pistole. Als er sich im Saal umsah, fiel ihm auf, dass neben allen Ausgängen kräftige junge Männer in dunklen Anzügen standen. Sie hatten Walkie-Talkies in den Händen und gehörten definitiv nicht zu Estebans Truppe. Er stürzte den Ricard hinunter und wartete.
Kurz darauf betrat ein fülliger Mann im Anzug die Bühne. Er griff nach dem bereitstehenden Mikrofon. »Verehrte Damen und Herren! Im Namen des Europäischen Verbands für Lebensmitteltechnik heiße ich Sie ganz herzlich zu unserem diesjährigen Galadinner willkommen. Der Blick auf den See bleibt uns heute Abend wohl verwehrt. Doch das ist kein Schaden, angesichts des fantastischen Unterhaltungsprogramms, das Sie erwartet – und dank des sterneverdächtigen Menüs, das Alois Hambichler und Leonardo Esteban, zwei Köche von Weltrang, Ihnen heute Abend servieren werden. Nun aber möchte ich das Mikrofon an einen Mann übergeben, der wie kein anderer in den vergangenen Jahren die moderne Kulinologie geprägt hat – die hohe Kunst, technologischen Fortschritt mit kulinarischer Finesse zu verbinden. Der ›Flavor Report‹ nennt ihn den König der Aromen, und ich gehe sogar noch weiter. Ohne ihn wäre moderne Nahrungsmittelproduktion in ihrer heutigen Form kaum vorstellbar. Das liegt nicht nur an seiner wissenschaftlichen Brillanz, sondern auch an der enormen Courage, mit der er den ungerechtfertigten und falschen Anfeindungen gegen unsere Branche in der Öffentlichkeit immer wieder entschlossen entgegentritt. Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie Gero Wyss von der Hüetli AG !«
Kieffer hatte erwartet, dass Wyss vom Publikum mit
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