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Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition)

Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition)

Titel: Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelie Wendeberg
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Kopfsteinpflaster, der Stock schwang vor und zurück, und den Hut hatte ich tief ins Gesicht geschoben. Der Kutscher nickte auf meine Bitte hin, zur Medizinischen Fakultät von Cambridge gefahren zu werden. Im Wagen schloss ich die Augen, atmete jeden Rest Anspannung aus. Still wie eine Statue saß ich da.
    Exakt vierzehn Minuten später hielt die Droschke. Ich stieg aus und bezahlte den Fahrer, ohne ihn anzusehen. Als ich mich umdrehte, sah ich Stark winken und über die Straße auf mich zueilen. Er führte mich durch den Great Court des King’s College. Das mächtige Deckengewölbe mit seinen grazilen Fächern aus Stein, die sich immer wieder überkreuzten wie die Arterien eines riesigen Organismus, gab mir das Gefühl, bei lebendigem Leib verschluckt worden zu sein. Doch mit einem Lidschlag war die Umgebung fortgewischt, und ich konzentrierte mich auf die imaginäre scharlachrote Zielmarke vor mir.
    Stark öffnete die Tür zu einem kleinen Vorlesungssaal. Ich zählte fünfzehn Männer, alle mit ernsten Mienen, fast alle über fünfzig. Die Älteren unter ihnen saßen in bequemen Sesseln, während die Jüngeren um sie herumstanden. Die meisten unterhielten sich leise und rauchten. Bei unserem Eintreten verstummte das Geplauder.
    Mein Blick glitt durch den Raum. Dies war kein gewöhnlicher Vorlesungssaal; dunkle, verzierte Holzpaneele dekorierten die Wände; Bilder von mehr als zwanzig ernsten Männern in Perücken und Roben, von Gold umrahmt, hingen ringsherum an den Wänden.
    Stark räusperte sich. Alle Köpfe wandten sich in unsere Richtung. Ich fixierte die vornehmsten der Herren und versuchte herauszufinden, wer der Anführer war.
    »Gentlemen, es ist mir eine große Freude, Ihnen Dr. Anton Kronberg, Englands führenden Bakteriologen, vorzustellen. Er hat an der Universität Leipzig Medizin studiert und regelmäßig in Dr. Kochs Labor in der Berliner Charité gearbeitet. Dort hat er auch seine Dissertation verteidigt. Im Anschluss daran hat ihm die Harvard Medical School ein vierjähriges Stipendium gewährt.«
    Die Männer nickten anerkennend, und Stark fuhr mit einem Lächeln fort: »Dann hatte London die Ehre, ihn willkommen zu heißen. Seine Arbeiten über ansteckende Krankheiten am Guy’s Hospital verschafften ihm Anerkennung in allen Krankenhäusern Londons. Sein letzter Aufenthalt in Dr. Kochs Labor in Berlin und sein Durchbruch bei der Isolation von Tetanuserregern verhalfen ihm zu internationaler Reputation.«
    Stark wandte sich mir zu. »Er ist heute unserer Einladung gefolgt, um einen Vortrag über seine jüngste Arbeit zu halten – Tetanus und die Isolation und Charakterisierung des Erregers.«
    Ich deutete eine Verneigung an und bestieg das Podium. Ich war daran gewöhnt, vor größerem Publikum Vorträge zu halten, und meine Nervosität erreichte ihren Höhepunkt immer kurz vor Beginn einer Rede. Wenn ich dann allerdings vor meinen ausschließlich männlichen Zuhörern stand, überkam mich große Ruhe. Ich war verkleidet, und niemand sah mich. Doch heute fehlte jegliche Nervosität. Nur kalte Berechnung trieb mich an.

    Ich setzte eine sanfte, tiefe Stimme ein, um die Aufmerksamkeit der Versammelten zu halten und sie nicht durch abrupte Wechsel in Tonhöhe oder Lautstärke abzulenken. »Meine lieben Kollegen, es ist mir eine große Ehre, heute vor Ihnen zu stehen. Hier in diesem Vorlesungssaal, wo schon die größten Mediziner gesprochen haben.«
    Ich machte eine kurze Pause.
    »Mein Forschungsgebiet ist noch jung, schreitet aber in einem unvorstellbaren Tempo voran – die Bakteriologie. Wir Bakteriologen kämpfen gegen die größten Feinde der Menschheit – Tetanus, Cholera, Typhus, Milzbrand und Beulenpest, um nur einige zu nennen. Wir untersuchen, wie Krankheiten sich ausbreiten und wie der Kampf gegen ihre Erreger gewonnen werden kann. Ich werde mein Hauptaugenmerk heute auf Tetanus und seine kürzlich isolierten Bakterien legen.«
    Ich drehte mich zur Tafel und notierte die Anzahl tödlicher Tetanusfälle in London während der letzten dreißig Jahre. Meine Zuhörer hingen an meinen Lippen und starrten gebannt auf das Stück Kreide, das über die Tafel kratzte.
    Nach einer Stunde war mein Vortrag zu Ende. Die Männer standen auf und applaudierten. Einige der Älteren kamen näher, um mir die Hand zu schütteln und zu gratulieren. Nach etwas Geplauder vereinbarten wir ein Treffen in einem privateren Umfeld, das in drei Tagen in London stattfinden sollte.

    ch saß in meinem verschlissenen

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