Teufelsherz (German Edition)
die Tiefe führte und dabei völlig frei in der Luft hing. Der flackernde Schein der Fackeln erzeugte unheimlich tanzende Schatten auf den Wänden.
»So habe ich sie mir immer vorgestellt«, flüsterte sie immer noch benommen und ließ sich widerstandslos weiterführen. »Die Hölle.«
»Ich weiß.« Luzifer hielt sie immer noch an der Hand und gab ihr damit ein Gefühl der Sicherheit, während sich neben ihr zu beiden Seiten der Abgrund auftat. »Für dich werde ich es gerne etwas freundlicher gestalten, mein kleines Mädchen.« Er vollführte eine Handbewegung, und ein Augenzwinkern später war die frei hängende Treppe von einem goldenen Geländer gesichert, an dem sich rote und weiße Rosen rankten. Die kargen, vom Feuerschein erleuchteten Wände wurden durch Wälder und Berge ersetzt, an denen funkelnde Wasserfälle hinabstürzten. Anstatt der Schatten flogen jetzt bunte Vögel durch die Luft, die das leise Rauschen des Wassers mit ihrem lieblichen Gezwitscher übertönten, und die dunkle Höhlendecke war einem hellblauen Himmel gewichen. Sie kam sich vor wie in einem Märchen und hätte sich nicht gewundert, wäre eine kleine Fee auf ihrer Hand gelandet.
»Die Gänseblümchenwiese und die Schaukel«, sagte sie, während sie sich immer noch staunend in dieser wundervollen Welt umsah. »Sie haben sie ebenso erschaffen wie das hier – für seine Mutter.«
»Ja, das habe ich.«
»Aber ist es denn echt? Oder nur eine Illusion?«
»Es ist echt – solange ich will.«
»Dann machen Sie es rückgängig.« Emily blickte zu ihm auf, und ihr wurde bewusst, dass es der Teufel war, der sie gerade die Treppe hinabführte. Sie durfte sich weder von seiner offensichtlichen Ähnlichkeit zu Damian noch von seinem gewinnenden Auftreten täuschen lassen. Sie durfte nicht vergessen, was dies für ein Ort war und welche Gefahren sich hier verbargen. Am wenigsten durfte sie jedoch vergessen, dass sie nur hier war, um mit Damian zu sprechen, danach jedoch wieder zurückgehen würde – zu jenen, die sie liebten und brauchten, so wie sie diese Menschen liebte und brauchte.
Genauso wie Damian, den sie jetzt retten würde.
Luzifer führte erneut diese winzige Geste mit der Hand aus, und im nächsten Augenblick war sie wieder von Dunkelheit und Trostlosigkeit umgeben. Es bestand kein Zweifel mehr, dass sie sich tatsächlich in der Hölle befand, was ihr weit lieber war als die paradiesische Illusion zuvor.
Am Fuße der Treppe angekommen ließ Luzifer ihre Hand los. »Ab hier wirst du alleine weitergehen«, sagte er. »Du wirst Damian finden und ihn zur Vernunft bringen. Sobald deine Aufgabe erledigt ist, werde ich wieder zu dir kommen.«
Emily nickte und konnte sich nur schwer einen gehässigen Kommentar über seinen mangelnden Mut verkneifen.
War das Amulett tatsächlich dermaßen mächtig, dass er sich noch nicht einmal in Damians Nähe wagte? Oder war das alles nur ein Trick? Irgendeine Hinterlist? Er war schließlich der Teufel. Sie wäre eine Närrin, ihm zu vertrauen, doch andererseits blieb ihr auch nichts anderes übrig.
Daher folgte sie, nachdem sich Luzifer im wahrsten Sinne des Wortes in Luft aufgelöst hatte, einer schmalen Brücke, die über ein graues Nebelfeld führte, das sie lieber nicht genauer erkunden wollte, zumal wimmernde, aber auch knurrende Geräusche daraus aufstiegen. Der Untergrund, auf dem sie sich bewegte, bestand aus dunklen aneinandergepressten Steinen und wirkte nicht besonders stabil. Auf der anderen Seite gelangte sie zu einem ebenso nebelverhangenen Fluss, an dessen Ufer ein kleines Boot stand. Daneben stand wartend eine Gestalt in einem dunklen Umhang, die Kapuze tief in die Stirn gezogen, sodass sie das Gesicht nicht sehen konnte.
»Sie müssen Charon sein«, sagte sie, als sie langsam auf ihn zuging. Sie wusste längst, dass Zweifel oder Ängste sinnlos waren. Es gab für sie keinen Weg mehr zurück, nicht, solange Luzifer sie nicht entließ, und so musste sie einfach nur vorwärtsgehen. »Charon, der Fährmann.«
Damian hatte ihr einst erzählt, dass die neuen Götter, nachdem sie die alten vertrieben hatten, die bestehenden Gebilde übernommen hatten, und so war Luzifer lediglich Hades’ Nachfolger. Die Unterwelt und viele deren Bewohner waren immer noch dieselben, es hatten sich nur andere Namen eingebürgert. Natürlich konnte dieser Mann auch irgendjemand anderes sein als der Fährmann der griechischen Mythologie, doch er schwieg ohnehin. Daher stieg sie ebenso schweigend in das
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