Teufelsherz (German Edition)
Boot.
Der Mann ergriff die lange, schmale Stange und stakte die Barke damit über den Fluss. Die unheimliche Stille und die vielen dunklen Schatten, die um sie herumflogen und zu allem Überfluss auch noch die Umrisse von Menschen hatten, trugen nicht sonderlich zu ihrer Zuversicht bei. Zum Glück dauerte die Überfahrt jedoch nicht allzu lange, und als sie am anderen Ufer ankamen, waren die Schemen verschwunden.
Dort stand sie allerdings vor einem weiteren Problem, denn der Weg war plötzlich einfach zu Ende. Egal wie genau sie sich umsah, nirgends fand sie einen Übergang, der sie über diesen neuerlichen Abgrund führen könnte, und der Fährmann war bereits wieder verschwunden. Instinktiv wusste sie, dass sie springen musste, so absurd das auch klang. Genauso absurd wie ihr Wunsch, Luzifer erneut an ihrer Seite zu haben, damit er ihr den Weg weisen konnte.
Was würde mit ihr geschehen, wenn sie tatsächlich in dieses schwarze Loch sprang? Wäre sie für immer verloren? Was würde dort unten auf sie warten? Das Ganze war Wahnsinn, aber sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte.
Langsam ging sie noch einen Schritt näher an den Abgrund. Steine und Geröll polterten unter ihren Schuhen in die Tiefe. Emily dachte an den Rausch ihres Sprungs von der Klippe zurück. Damals war Damian an ihrer Seite gewesen, doch dieses Mal musste sie ihre Angst überwinden, um zu ihm zu gelangen.
Und so sprang sie.
Seltsamerweise spürte sie sogleich wieder festen Boden unter den Füßen. Verwundert blickte sie sich um und stellte fest, dass sie auf einmal in einer völlig neuen Umgebung war. Sie befand sich in einer Halle, die von Hunderten kristallenen Kronleuchtern in ein blendend helles Licht getaucht wurde. Anscheinend war sie in einer Art Palast.
Bevor Emily sich jedoch in dem prächtigen Saal umsehen konnte, entdeckte sie hinter einer Wand aus Speeren den Grund für ihr Kommen.
»Damian!«, rief sie voll Freude und Schreck zugleich und stürmte auf ihn zu, jede Vorsicht vergessend.
Vor den dicht aneinandergereihten Stäben, deren Spitzen in zwei Meter Höhe in die Luft ragten, ließ sie sich auf die Knie fallen und streckte die Hand nach ihm aus, wobei es ihr kaum gelang, ihren Arm zwischen den schmalen Stäben hindurchzuschieben. »Damian, ich bin es, Emily.«
Die zusammengekrümmte Gestalt drehte sich langsam zu ihr um, und der Anblick seines blassen Gesichts ließ sie unwillkürlich zusammenzucken. Es waren keine äußeren Verletzungen an ihm zu erkennen, doch er wirkte, als hätte ihn jede Lebenskraft verlassen. »Emily?«, keuchte er und wurde sofort von einem Hustenanfall geschüttelt. »Was zur Hölle …?«
»Du darfst das nicht tun«, unterbrach sie ihn, um keine Zeit zu verlieren. »Bitte, Damian. Versprich mir, dass du deinem Vater nichts antun wirst. Du darfst dir das selbst nicht antun. Ich weiß jetzt, was es aus dir machen würde.«
Damian brachte ein gequältes Lachen zustande, während er sich stöhnend aufrichtete. »Ich bin zu ihm gegangen, um ihn zu vernichten, da hat er mir gesagt, dass er dich in seiner Gewalt hat«, erzählte er, ohne auf ihr Flehen einzugehen. »Ich habe ihm nicht geglaubt, aber das Risiko … Und dann ist er fortgegangen, und die anderen haben mich hier festgehalten.« Er rutschte etwas näher und sah sie jetzt zum ersten Mal richtig an. »Ich wollte ihm nicht glauben, dass du tatsächlich hier bist«, sprach er weiter und streckte seine Hand nach ihr aus, um ihre Wange mit seinen eiskalten Fingern zu berühren. »Aber du bist es wirklich. Er hat nicht gelogen.«
»Doch.« Emily nahm seine Hand von ihrer Wange und hielt sie mit beiden Händen fest, um sie zu wärmen. »Ich war nicht hier – nicht zu dem Zeitpunkt, als du zu ihm gegangen bist. Es war eine List, damit du ihm nichts tust, damit er verschwinden kann. Er hat mich eben erst hierhergebracht.«
»Und dir deine Erinnerung zurückgegeben.«
»Ja.« Sie versuchte nicht vorwurfsvoll zu klingen, konnte es jedoch nicht völlig vermeiden. »Und ich bin froh darüber. Ich bin froh, dass er dich angelogen hat, dass er zu mir gekommen ist und mich hierhergebracht hat. Denn ansonsten hättest du ihn vernichtet und wärst jetzt …« Sie starrte auf seine Hand hinab, an die sie sich immer noch klammerte. »Ich bin hier, um dich davon abzuhalten«, fuhr sie schließlich etwas ruhiger fort und blickte wieder zu ihm hoch. »Ich werde nicht zulassen, dass du dich zum neuen … Teufel machst. Du bist ein Schutzengel. Du
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