Teufelsherz (German Edition)
erleben, doch Mrs Seravin fühlte sich offensichtlich nicht besonders behaglich dabei. Das geschah ihr recht! Emily hätte ihr an die Gurgel gehen können.
Will hingegen hielt den Blick gesenkt und starrte auf das Buch vor sich. Bis zum Ertönen des Pausenklingelns rührte er sich nicht, dann dafür umso schneller. Mit seiner für ihn typischen Geschwindigkeit setzte er sofort die Brille wieder auf und stürmte noch vor der Lehrerin aus der Klasse. Emily schnappte sein Englischbuch, packte ihren eigenen Kram ein und beeilte sich, ihm zu folgen. Als sie jedoch in den Gang hinauslief, konnte sie ihn nirgends finden.
Die nächsten beiden Stunden hatten sie getrennt Unterricht, und in den Pausen war er wie vom Erdboden verschluckt. Auch an seinem Schrank kam er nicht vorbei, was Emily zu Beginn der Mittagspause genau beobachtete, als sie ihr Lunchpaket aus ihrem Spind nahm. Allmählich begann sie sich Sorgen zu machen. Sich zu verkriechen war so gar nicht seine Art, und dass er offenbar nicht einmal mit ihr sprechen wollte, war schon ziemlich merkwürdig. Natürlich war es für ihn nicht gerade angenehm gewesen, seine Augen so unvorbereitet den neugierigen Blicken der Klassenkameraden zu präsentieren, aber das war doch kein Grund, einfach abzuhauen. Zumindest nicht, ohne ihr Bescheid zu geben.
Emily knallte die Schranktür zu und konnte nur schwer einen Aufschrei unterdrücken. Beinahe wäre ihr die Essenstüte aus der Hand gefallen, so sehr hatte sie sich erschreckt. »Um Himmels willen, Annie«, keuchte sie. »Willst du mich umbringen?«
»Es tut mir leid.« Das seit Neuestem als Heldin gefeierte Mädchen sah ehrlich bestürzt aus. »Ich wollte gerne mit dir reden, aber wenn es dir jetzt nicht passt …« Sie sah unsicher auf den Boden. »Ich kann auch später wiederkommen.«
»Nein, schon gut.« Emily, deren Herzschlag sich wieder beruhigt hatte, hakte das Schloss ein und wandte sich ihr nun ganz zu. »Du hast dich ja bei der neuen Lehrerin nicht gerade beliebt gemacht«, sagte sie. »Allerdings war es wirklich beeindruckend. Und mutig«, fügte sie noch hinzu.
Die Wandlung, die Annies friedliches Gesicht durchmachen konnte, war erstaunlich. Solch wütend blitzende Augen hätte sie diesem Mauerblümchen niemals zugetraut. Oh Gott, jetzt dachte sie schon genauso wie Marita. Sie war echt kein bisschen besser. Dabei war Annie wirklich hübsch. Seltsam, dass ihr das vorher nie aufgefallen war. Niemand schien die zierliche Gestalt mit dem rotblonden Haar jemals richtig angesehen zu haben. Vielleicht lag das daran, dass sie ihr Gesicht meistens hinter Büchern versteckte. Doch jetzt, wo sie so aufgebracht vor ihr stand, war ihre romantische Schönheit unverkennbar. Irgendwie hatte sie etwas von einer Märchengestalt mit ihren großen hellgrünen Augen, dem herzförmigen Gesicht und der porzellangleichen Haut.
»Das ist ja nicht zu fassen, was sich diese Möchtegern-Femme-fatale einbildet«, regte sie sich mit roten Wangen auf. »William hat sein Leben für Schüler und Lehrer riskiert, und die macht wegen einer blöden Brille so einen Aufstand! Was geht die das denn an? War sie damals dabei? Nein! Die ist ja viel zu beschäftigt damit, sich Implantate einpflanzen zu lassen. Soll sie ihre unechten Titten doch dahin zurückschleppen, wo sie hergekommen sind.«
Emilys Augen wurden immer größer und das Grinsen immer breiter. »Herrje, Annie. Was du für Ausdrücke draufhast«, brachte sie lachend hervor. »Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.«
»Für solche Menschen fallen mir noch ganz andere Ausdrücke ein, das kannst du mir glauben.« Sie atmete tief durch. »Wie geht es William jetzt?«, fragte sie schließlich, mit einem Mal wieder mit der kleinlauten Stimme, die viel eher zu ihrem Aussehen passte. »Ist er sehr wütend?«
»Ich weiß nicht. Er ist verschwunden, wahrscheinlich will er seine Ruhe haben.«
Annie nickte. »Ich habe ihn nicht gesehen. Ich meine, in der Klasse. Aber die anderen reden nur noch davon. Also dass er … Er sah wohl ziemlich schlimm aus.«
»So etwas dauert eben seine Zeit.«
»Natürlich. Aber wenigstens ist der Zauber von Mrs Seravin verflogen. Keiner redet mehr davon, wie sexy sie ist.«
»Alles hat auch seine guten Seiten.«
»Ja, also wenn du …« Annie senkte den Blick und knetete hektisch ihre Finger. »Wenn du William siehst, kannst du ihm dann bitte sagen, dass es mir leidtut? Und dass er sich nicht um das Gerede kümmern soll?«
»Klar.« Emily sah sie prüfend an.
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