Teufelsjäger (Die Mark Tate-Saga) (German Edition)
Augenhöhlen glomm.
Ich ging schnurstracks auf ihn zu - so weit, wie es meine Angst eben zuließ. Mit einem Ruck riß ich den Anhänger vom Hals und hielt ihn dem Riesen entgegen. Erst jetzt wurde er wieder aufmerksam auf mich. Ein tiefes Grollen entrang sich seiner Kehle. Es klang, als komme es aus einem Grab. Das Beidhandschwert zuckte auf und ab. Es war, als könnte sich der Riese nicht so recht entscheiden, was er nun als erstes tun sollte. „Vater unser, der du bist im Himmel...“, begann ich laut zu beten. Heulen und Wehklagen ringsum war die Antwort. Der Riese taumelte einen Schritt zurück. Seine schreckliche Fratze war auf das kleine, geweihte Kreuz gerichtet. „...geheiligt werde dein Name...“
„Schließt ihm das Maul!“ hörte ich von links.
„Onkel, worauf wartest du denn noch?“ erscholl es von rechts. Von allen Seiten nun strömten die Geister auf mich zu.
„...zu uns komme dein Reich...“
Das waren meine letzten Worte. Wie eine Flutwelle überrollten mich die Angreifer. Eiseskälte durchdrang mich. Krallen kratzten über mein Gesicht. Widerlicher Gestank peinigte meine Nase und raubte mir den Atem. Sie schlugen auf mich ein, in blinder Wut. Es gab nichts, was ich ihnen entgegensetzen konnte, denn immer, wenn ich nach ihnen greifen wollte, blieb nur leere Luft zwischen meinen Fingern.
Den Talisman hatte ich natürlich längst verloren. Er war gleich beim ersten Ansturm davongeflogen und lag irgendwo, für mich unerreichbar. Aber er war ja ohnehin keine echte Hilfe, wie sich gezeigt hatte. Ganz im Gegenteil...
Der Riese heulte furchtbar. Es klang wie ein urweltliches Gewitter, was er von sich gab. Hoch hob er den Beidhänder über seinen furchterregenden Schädel und schwang ihn. Er würde ihn auf mich herabsausen lassen. Diesmal würde ich nicht mehr so einfach davonkommen, denn bis zum Ende der Mitternachtsstunde, der Stunde der Dämonen, war es noch lange - viel zu lange! - Eine halbe Ewigkeit, wie es es mir in diesem Augenblick erschien.
Die Geister ließen mich aus ihren Krallen. Sie kreischten haßerfüllt und wünschten mir einen schrecklichen Tod. Und der Riese war jetzt heran. Sein mächtiges Schwert zischte von oben herab durch die Luft, direkt auf mich zu.
*
Im letzten Augenblick konnte ich mich zur Seite werfen. Die blitzende Klinge bohrte sich tief in den Boden. Der Riese grollte enttäuscht und zog das Schwert aus dem klaffenden Spalt, der sich daraufhin sofort wieder schloß. Der Boden hatte danach nicht einmal einen Kratzer. Ich sprang panikerfüllt auf und flüchtete in Richtung Treppe.
„Don!“ schrie jemand verzweifelt. Ich erkannte die Stimme meines Freundes Frank. „Don!“
Die Treppe war erreicht. Ich wagte es, kurz den Kopf zu wenden. Der Riese folgte mir nicht. Und das hatte seinen Grund: Frank hielt einen antiken Stuhl in beiden Händen und ging damit auf das Ungeheuer los. Weit holte Frank aus und schmetterte den Stuhl gegen das Monster. Doch konnte er dem Unwesen damit n i c h t s anhaben. Der Stuhl zischte nämlich einfach hindurch und landete krachend in einer Glasvitrine. Scherben regneten zu Boden. Frank gab es dennoch nicht auf. Er wollte mich unbedingt schützen, und deshalb griff er sogar mit bloßen Fäusten an. Der Riese erwartete ihn ruhig. Die Geister brachen zu allem Überdruß in schallendes Gelächter aus, als der angreifende Frank sich plötzlich inmitten des Riesen stehen sah! Inmitten! Als sei der Schreckliche nur aus Luft! Nein, gegen diese Ungeheuer gab es keine Gegenwehr. Es half nur eines: die sofortige, eilige Flucht!
Ich dachte unwillkürlich an das Buch zurück, das ich Frank gegenüber zitiert hatte. Ignoranz sei die beste Waffe gegen die jenseitigen Kräfte! Ich müßte mich also jetzt einfach auf den Boden legen und alles vergessen, was um mich herum geschah. Dann würden sie mir nichts mehr anhaben können. Leichter gesagt als getan, wahrlich! Außerdem: Gab es denn auch eine G a r a n t i e , daß es überhaupt funktionierte? Dieser zweifelnde Gedanke allein schon würde ein solches Vorhaben unmöglich machen. Die Geister würden mich in Stücke reißen, der Riese mich mit seiner schrecklichen Waffe zerhacken.
Ich war stehengeblieben, als ich Franks Angriff gesehen hatte. Jetzt zwang mich die Todesangst, weiter zu rennen. In fliegender Hast hetzte ich die Treppe empor und erreichte die Empore. Ein paar Geister schwebten herauf, holten mich ein, umschwirrten mich. Schreiend lief ich weiter, um mein nacktes Leben,
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