Teufelsjäger (Die Mark Tate-Saga) (German Edition)
er hin und her. Die starren, lidlosen Schlitzpupillen fixierten das Opfer. Mit kleinen Schritten, doch in majestätischer Gelassenheit bewegte sich der bärtige Inder auf den am Boden Liegenden zu. Der Mann rührte sich nicht mehr. Wie hypnotisiert schaute er auf die Schlange, verfolgte er jede ihrer Bewegungen.
Die anderen Angreifer wichen zurück und bildeten einen Halbkreis. Ich ahnte, daß ihr eigenartiges Gebaren, das sie dabei an den Tag legten, einem genau vorgeschriebenen Ritual entsprach, und tastete zum zweiten Mal nach meinem Schavall. Der magische Stein funktionierte wie ein Meßinstrument für abgründige Energiefelder. Er hatte sich leicht erwärmt, ein deutliches Zeichen dafür, daß jetzt dämonische Kräfte mit im Spiel waren.
Alles fuhr mir durch den Kopf, was ich über den längst tot geglaubten Kali-Kult wußte. Viel war es nicht gerade, doch konnte ich mich nicht erinnern, jemals von einem solchen Vorgang gehört zu haben. Die Jünger Kalis mieden für gewöhnlich die Öffentlichkeit.
Ich schaute mich um und bemerkte, daß ich nunmehr der einzige Passant war. Unbemerkt schob ich mich an der Hauswand vorbei zum Eingang und drückte mich dort in Deckung. Es ist nicht so, daß ich ein ausgesprochener Feigling bin, aber ich wollte kein unnötiges Risiko eingehen. Die Dinge, die sich hier abspielten, waren für mich von unbekanntem Motiv, wenngleich sie irgend etwas mit Kali hatten. Es war zunächst ratsam, sich herauszuhalten. Denn gegen diese Übermacht gab es keinerlei Chancen für einen einzelnen Mann wie mich.
Meine Gedankengänge wurden jäh unterbrochen. Jetzt faßten auch die anderen Angreifer unter ihre Gewänder. Als sie ihre Hände wieder zum Vorschein brachten, hielten sie in jeder Schlangen, die sie von sich streckten. Eigenartigerweise gaben sich die Tiere ihren Herren gegenüber völlig neutral. Nur das Opfer zischten sie aggressiv an.
Der bärtige Inder hatte den am Boden Liegenden erreicht. Der arme Mann erbebte und rutschte langsam rückwärts. Ein furchtbarer Laut entrang sich seiner Kehle.
Die Szene ging mir sehr nahe. Gewaltsam mußte ich mich zurückhalten, um nicht doch noch in dieses grausige Spiel einzugreifen. Und sei es auch noch so aussichtslos. Ja, gewiß, ich hätte dabei zweifelsohne mein Leben gelassen. Und das des Opfers hätte ich keineswegs dabei retten können. Der Schavall blieb ständig erwärmt, während der gesamten Szene. Aber er hätte mich gegen die Schlangen nicht verteidigen können.
„Kali!“ schrie der Bärtige dem Opfer ins Gesicht. Es folgte ein wahres Stakkato mir unbekannter Wörter. Dann stießen seine Hände mit der Kobra vor. Der keilförmige Kopf zuckte in Richtung des vor Grauen Erstarrten, biß sich in seinem Gesicht fest. Der Todeskampf dauerte minutenlang, während die Umstehenden einen schaurigen Singsang anstimmten. Dann, endlich, war der Überfallene tot und erlöst.
Das Schlimmste für mich allerdings war, daß ich dem allem hatte tatenlos zusehen müssen.
*
Nur Sekunden nach dem grausamen Ereignis warfen die Männer ihre Schlangen auf den Leichnam, hoben ihn auf und brachten ihn eiligen Schrittes weg. Ich schickte mich erst an, sie zu verfolgen, mußte jedoch bald die Sinnlosigkeit dieses Tuns einsehen. In diesem Straßenlabyrinth hatte ich keine Chance, an den Verfolgten dran zu bleiben. Ich würde sie zu schnell verlieren. Und schon wenige Atemzüge später hatte sich alles scheinbar wieder normalisiert. Bettler lagen wie eh und je auf der Straße. Ich sah eine ausgemergelte Kuh, in deren Augen sich das Elend dieser Stadt wiederspiegelte. Das Tier hielt vor einem Haus. In irdenen Gefäßen standen dort Speisereste. Die Kuh fraß sie, obwohl es nicht gerade das war, was ihr Magen verlangte und was sie vertrug.
Für die Inder sind diese Tiere heilig und deshalb unantastbar. Kaum jemand kümmert sich um sie, was meistens zur Folge hat, daß sie eines Tages elendiglich krepieren - wie viele von denen, die sie verehren. Aber es steht mir nicht zu, über dieses Volk zu urteilen, denn es gehört einem völlig anderen Kulturkreis an, und mit meiner Kritik würde ich ihm nicht gerecht werden. Schließlich bin ich Europäer - als Mark Tate.
Ich fühlte eine gewisse Ohnmacht, als ich mich umschaute. Ich suchte nach einer Spur der schrecklichen Ereignisse. Hatte ich denn alles nur geträumt? Mit einem dumpfen Gefühl im Schädel setzte ich schließlich meinen Weg fort. Die Polizei hatte man offensichtlich nicht benachrichtigt
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