Teufelsjäger (Die Mark Tate-Saga) (German Edition)
gebracht hatte - offensichtlich sogar ganz gezielt. Dieses Erlebnis hier gehörte zu den absoluten Tiefpunkten meines Lebens. Zumal ich mich völlig hilflos fühlte, zur Untätigkeit verdammt.
Als die schreckliche Prozedur endlich vorbei war, rührten sich die Kobras nicht mehr. Ruhe, Erstarrung, minutenlang, wie in Andacht oder wie um neue Kräfte zu sammeln. Dann zogen sich die Schlangen zurück und bildeten wieder jenes Knäuel lebender Leiber zu Füßen der Blutgöttin.
Kaum war das geschehen, als sich die Leiber der getöteten Opfer aufzulösen begannen. Einfach so! Bis das Plateau leer war. Ja, noch nicht einmal die Fesseln oder die Kleider waren übriggeblieben. Nur die fünf Priester standen wieder an den Säulen.
Der Oberpriester - um einen solchen handelte es sich zweifelsohne - verließ den Felsspalt. Ich hatte ihn über das Geschehen völlig vergessen. Er erschien jetzt um Jahre gealtert. Seine Hände hielt er mit den Innenflächen gegen die Brust gepreßt. Gemessenen Schrittes umrundete er das Standbild und blieb schließlich inmitten des fünfeckigen Plateaus stehen. Die fünf anderen Priester schaute er der Reihe nach an. Der schaurige Singsang verebbte. Was würde sich jetzt ereignen? Kam jetzt ein neuer Höhepunkt? War denn überhaupt noch eine Steigerung möglich?
Der Oberpriester trippelte mit kleinen Schritten näher an Kali heran. Hoch aufgerichtet war seine Gestalt. In seiner Haltung drückte sich keine Demut aus. Er rief etwas mit lauter Stimme.
„Verdammt, was meint er?“ zischte Don Cooper.
Stephen Millair war offenbar der Sprache des Priesters mächtig. Er bequemte sich zur Übersetzung: „Er verwünscht die Seelen derer, die in dieser Nacht der Göttin geopfert wurden. Es handelte sich um Widersacher der Kali-Jünger.“
Ich begriff, warum so viele unbeeinflußt auf der Seite des Kultes kämpften - angesichts einer solchen Bedrohung.
Der alte Priester war noch nicht am Ende. Er hob abermals seine Stimme.
„Was sagt er denn jetzt?“ erkundigte sich Don gedämpft. Seine Stimme zitterte. Das Geschehen hatte ihn genauso aufgeregt wie mich. Don hatte in seinem Leben gewiß auch eine ganze Menge erfahren. Aber diese Vorgänge hier gingen wohl jedem an die Nieren. Dabei war er von uns beiden wahrscheinlich noch der abgebrühteste.
Stephen Millair übersetzte abermals: „Ihre Körper, ihre Seelen und damit all ihre Lebensenergie wurde von Kali absorbiert. Das zeigt, daß sie das große Opfer angenommen hat. Kalis Macht hat sich nun gewaltig vergrößert. Mit jedem Opfer mehrt sie sich. Es müssen allerdings immer ihre Gegner sein. Nur die mehren ihre Macht.“ Nach einer Zeit des Lauschens führte er hinzu: „Tut mir leid, ich verstehe nicht alles. Der Alte ist zu weit weg. Er spricht jetzt von sogenannten Auserwählten. Die Opfer gehörten anscheinend nicht dazu. Irgendwie ist mir der Sinn nicht ganz klar.“
Der Alte brach seine Rede ab und trat zurück. Der Schlund der Göttin schloß sich halb. Ihre Fratze bekam so ein zynisches Aussehen. Sie starrte auf den Oberpriester herab. Es sah so aus, als befände sie sich in Lauerstellung, stets sprungbereit, um sich im nächsten Moment auf ihre eigenen Anbeter zu stürzen. Aber nichts dergleichen geschah.
Abermals kamen Untergebene die Treppe herauf, immer zwei zu zwei. Sie trugen auf ihren Schultern in Leinen gehüllte Körper. Ich zählte diesmal ein halbes Dutzend. Sie wurden in einer Reihe vor das Götzenbild gelegt. Die Priester traten vor und schlugen die Leinen zurück. Wächserne Gesichter kamen zum Vorschein. Es waren die Gesichter von Toten. Und ein Gesicht erkannte ich fast auf Anhieb, trotz der Entfernung!
*
Ich konnte mich stets auf mein fotografisches Gedächtnis verlassen. So auch diesmal. Zwar zweifelte ich augenblicklich an meinen Verstand, aber nicht an dem, was ich sah: Einer der Toten war der Mann, dessen Ermordung ich vor wenigen Tagen auf der Straße als Zeuge miterlebt hatte. Es war meine erste Konfrontation mit dem Kali-Kult hier in Nagarpur gewesen. Die Kali-Jünger hatten die Leiche mitgenommen - und hier tauchte sie wieder auf. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Wurden in einem neuen Ritual sogar Tote geopfert? Und welchen Sinn sollte das ergeben?
Ich sollte es sehr bald erfahren.
Deutlich beugte sich die aus Stein gemeißelte Göttin vor. Ihre Arme wedelten wie die Fangarme eines Tintenfisches. Mit einem berührte sie nacheinander die Körper. Sie zuckten unter dem Kontakt, als erwecke die
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