Teufelskreise (German Edition)
ist?«
»Versprochen.« Als sie gegangen waren, hob ich den Pflock, den Goliath zu den hysterischen Zischlauten veranlasst hatte. »Was hat es damit auf sich?«
Zögernd biss sich Vivian auf die Unterlippe.
»Wenn du es ihnen nicht sagst, werde ich es tun«, mahnte Nana.
»Schon gut, schon gut.« Vivian holte tief Luft. »Mit einem Messer, mit dem ein tödlicher Angriff auf einen Sterblichen ausgeführt wurde und das in dessen Körper stecken blieb, bis dieser erkaltet war, habe ich einen Zweig von einer Esche auf einem Friedhof abgeschnitten. Eschen sind Bäume, deren Wurzeln sich vor allem von den Toten nähren. In die dicksten, stärksten Stellen des Astes habe ich Löcher gebohrt und ihn dann mit der Energie der Sonne und meines eigenen Blutes aufgeladen. Ich habe Erde aus Menessos’ Kopfkissen gestohlen, sie mit geweihtem Wasser gemischt und anschließend den Pflock hineingetaucht, um ihn dann in der Sonne trocknen zu lassen. Die letzte Prozedur habe ich mehrmals wiederholt.«
»Aber was hat das für eine Bedeutung? Erklär es uns«, drängte ich sie.
»Stoker behauptete, man könne jemanden, der noch nicht gestorben ist, von Draculas Fluch befreien, indem man Dracula tötete. Doch das ist Unsinn. Das Opfer wird nicht befreit, indem man seinen Schöpfer tötet. Durch die Bindung spürt es den Schmerz, den auch sein Erschaffer spürt – je stärker die Bindung, desto größer der Schmerz – , doch weder stirbt es mit ihm, noch wird der Fluch von ihm genommen. Der Pfahl ist jedoch durch das geweihte Wasser und die Energie der Sonne zu einem Werkzeug geworden, das jeder Vampir fürchtet. Bei einer Impfung wird dem Patienten eine geringe Dosis des Krankheitserregers gespritzt, vor dem er geschützt werden soll, nicht wahr? So ähnlich verhält es sich auch hier. Mein Blut, das mit der Erde seiner Heimat und dem Weihwasser gemischt wurde, hat aus dem Ast ein Werkzeug gemacht, um Menessos unter großen Leiden zu töten.«
Ich dachte an Samson Kline und daran, wie gern er dieses Stück Holz wohl in seine Finger bekäme. »Wegen deines Blutes?«
»Der Pfahl würde ihn vergiften. Er könnte sich nicht dagegen wehren, weil das Gift, bestehend aus dem Weihwasser, dem Sonnenlicht und meinem Blut, mit einem Teil von ihm vermischt worden ist – mit seiner Heimaterde.«
Eine Bewegung von Johnny ließ mich zu ihm sehen. Er lächelte mich an, und sein Blick flog zwischen meinem Gesicht und dem Pflock in meinen Händen hin und her. »Lustrata«, sagte er.
»Lustrata«, wiederholte Nana atemlos, »Sie haben recht. Bei der Dunklen Mutter, ja!« Sie starrte mich an, als würde sie mich zum ersten Mal sehen. Ihr Verhalten machte mir Angst.
»Okay, Moment mal!« Ich hob die Hände, mit denen ich noch immer den Pflock umklammerte, und sah Johnny an. »Du erklärst mir jetzt sofort, was dieses Wort zu bedeuten hat.«
Er zögerte, sodass es schließlich Dr. Lincoln war, der sagte: »Das lateinische lustrare heißt so viel wie ›reinigen‹. Das weibliche Substantiv würde somit lustrata lauten. Die alten Römer kannten das lustrum , die Reinigung des Volkes … «
»Sie sind ziemlich nah dran, Doc«, sagte Johnny. »Aber um genau zu sein: In diesem Falle bezeichnet das Wort eine Frau, die etwas reinigt, indem sie ein Opfer darbringt. Zum Beispiel reinigt sie den Körper eines Vampirs, indem sie ihn opfert.«
»Eine Vampirmörderin?«, sagte ich dumpf. »Na, vielen Dank auch, aber ich komme immer noch besser mit ganz normaler Sprache klar. Ich muss mir nichts mit archaischen lateinischen Begriffen schönreden, denn mein Gewissen lässt sich auch damit nicht überlisten.« Als ich schwieg, tauschten Johnny und Nana einen Blick, der mir nicht gefiel.
Sie sagte: »Nicht ›eine‹ Lustrata, Persephone. Es muss ›die‹ Lustrata heißen. Es ist nicht nur ein hübscher Name, sondern vor allem ein einzigartiger Titel.«
»Was redet ihr denn nur für einen Blödsinn?«, mischte Vivian sich wieder ein. »Sie kann gar nicht die Lustrata sein.«
Kurzentschlossen brachte Nana Vivian mit dem Knebel wieder zum Schweigen.
Alle außer mir schienen zu wissen, wovon die Rede war. »Hallo? Hätte jemand vielleicht die Güte, mich aufzuklären?« Die Panik in meiner Stimme gefiel mir nicht. Sicher waren daran nur der Schlafmangel und der sinkende Adrenalinspiegel schuld. Ich hatte zu wenig Kaffee getrunken.
Johnny richtete sich auf und ließ seine vor seinem Körper gekreuzten Arme sinken. »Ich habe mal einen Song über sie
Weitere Kostenlose Bücher