Teufelsleib
»Was haben die Frauen gemeinsam? Schreib mal auf, ich kann nicht mehr so … Hast du was dabei oder …«
»Klar.« Brandt holte einen Block und einen Stift aus dem Koffer.
»Gut, fangen wir an. Sie sind alle brünett, sie wurden erdrosselt, zwei arbeiteten als Edelhuren, eine in einem Bordell. Alle besuchten die Kirche, und zwar ausschließlich, davon gehe ich aus, die Andreas-Gemeinde. Nehmen wir noch das Doppelleben dazu, haben wir jetzt schon fünf Gemeinsamkeiten. Und niemand aus der Familie wusste von diesem Doppelleben außer dem Mann von der Schubert. Der streitet es zwar ab, aber wir wissen ja, dass er lügt. Dazu kommen die Olive, der Ölzweig und die Feder, wobei dieses Merkmal bei der Zeidler fehlt. Warum er diese Symbole gewählt hat, ist noch unbekannt, genauso wie die Tatsache, warum er diese Symbole der Schubert eingeritzt hat. Friedenssymbole, warum wählt er Friedenssymbole? Das ergibt keinen Sinn. Aber für ihn müssen diese Symbole eine starke Bedeutung haben.«
Nicole blickte zur Wand und presste die Lippen aufeinander. »Wenn ich jetzt mal davon ausgehe, dass er ein Hurenhasser ist, warum dann die Friedenssymbole? Ich finde keine Erklärung.«
»Vielleicht hab ich eine«, sagte Brandt. »Was, wenn er damit ausdrücken will, dass die Frauen mit dem Tod wieder rein geworden sind und jetzt ihren Frieden gefunden haben? Könnte das passen?«
»Nicht schlecht. Aber um ihn zu begreifen, müssen wir in seine Gedankenwelt eintauchen, und wenn wir das schaffen, zieht sich die Schlinge schon ein Stück weit um ihn zu. Wie tickt er? Was treibt ihn an, warum begeht er diese Morde an Frauen, die ihm nichts getan haben?«
»Getan haben sie ihm vermutlich nichts. Aber er kannte sie, bevor er sie tötete. Und zwar aus der Kirche. Er kannte sie, doch sie kannten ihn nicht …«
»Stopp, drücken wir’s doch anders aus: Sie kannten ihn, aber sie haben ihn nicht wahrgenommen oder gar ignoriert. Er ist ein Gesicht in der Menge, das leicht übersehen wird. Ein unscheinbarer Mann, der geradezu obsessiv seine Opfer beobachtet. Ein organisierter Täter, der genau weiß, wann, wo und wie er zuschlagen wird.«
Brandt hatte eifrig mitgeschrieben und sah nun auf. »Ja, aber wenn er ein unscheinbarer Mann ist, der regelmäßig die Kirche besucht oder sogar aktiv tätig ist – angenommen, er ist Küster oder Organist, das ist aber rein hypothetisch –, dann würden die Opfer ihn spätestens erkennen, wenn er vor ihnen stünde. Die Kirche ist zwar fast jeden Sonntag bis auf den letzten Platz besetzt, trotzdem bin ich überzeugt, dass unser Täter nicht so unscheinbar ist, dass man ihn nicht wiedererkennt.«
»Wie wäre es denn damit«, sagte Nicole. »Alle kennen ihn, aber wenn er loszieht, um zu morden, verändert er sein Aussehen, so dass er nicht oder nicht gleich erkannt wird. Er gibt sich erst zu erkennen, wenn seine Opfer sich nicht mehr wehren können.«
»Guter Ansatz«, erwiderte Brandt anerkennend. »Aber versuchen wir doch mal, in seine Gedanken- und Gefühlswelt einzutauchen. Warum tötet er Huren? Was war der Auslöser? Hat es mit seiner Mutter zu tun, oder fing es später an, zum Beispiel mit einer Frau, die er geliebt hat, die es aber mit andern Männern trieb?«
»Du fängst an zu spekulieren. Mögliche Auslöser gibt es Tausende. Es kann sein, rein spekulativ, dass er einfach nicht richtig tickt.«
»Alle bisherigen Opfer waren Huren oder Prostituierte – wie immer wir sie nennen mögen. Er hat ein Beuteschema, und dem folgt er. Klar, dass er nicht richtig tickt, wissen wir, aber er geht äußerst gezielt und vor allem nicht wahllos vor. Was mich zudem nachdenklich stimmt, ist, dass er zunehmend brutaler wird. Bei der Obduktion der Leichen, vielleicht erinnerst du dich noch daran, wurde ein weit erhöhter Wert an Stresshormonen festgestellt, und das bei allen Opfern, auch der Maurer. Nur die Zeidler wurde in einem relativ unversehrten Zustand aufgefunden, während er bei der Schubert in einen wahren Gewalt- und Blutrausch verfallen ist …«
»Richtig, was womöglich damit zusammenhängt, dass die Schubert, anders als die Zeidler, eine einfache, billige Hure war …«
»Oder er hat sich beim ersten Mord noch nicht getraut, seinen mit Sicherheit da schon vorhandenen Sadismus auch auszuleben«, bemerkte Brandt. »Denn bei der Maurer ist er auch nicht gerade zimperlich gewesen, wie du an den Fotos unschwer erkennen kannst.«
Nicole nahm ein paar Chips, trank Bier dazu und meinte nach
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