Teufelsleib
einer Weile: »Mir kommt gerade ein ganz seltsamer Gedanke. Was, wenn der Mord an der Zeidler nicht sein erster war?«
»Das haben wir doch alles schon im letzten Jahr mehrfach durchgespielt«, erwiderte Brandt mit gerunzelter Stirn. »Oder hast du das vergessen?«
»Nein, das habe ich nicht vergessen. Wir haben damals nach ungeklärten Mordfällen an Prostituierten in unserem Bereich recherchiert, aber keine gefunden. Doch gehen wir mal davon aus, dass unser Täter noch nicht allzu lange in Offenbach wohnt und woanders seinen ersten Mord oder gar seine ersten Morde begangen hat. Wir haben doch, soweit ich mich erinnern kann, nur Sexualstraftäter, die auf freiem Fuß sind, unter die Lupe genommen …«
»Wir haben auch in der Datenbank nachgeschaut, ob es ungeklärte Mordfälle gibt, die mit unseren beiden korrelieren. Wir haben nichts entdeckt.«
»Und warum haben wir nichts entdeckt?«, fragte Nicole mit herausforderndem Blick. »Weil wir nur und ausschließlich nach ungeklärten Prostituiertenmorden gesucht haben. Ich weiß nicht, warum, aber ein Gefühl sagt mir, die Zeidler war nicht sein erstes Opfer. Ich schlage vor, alle ungelösten Mordfälle der letzten fünf bis zehn Jahre in Deutschland zu überprüfen. Allerdings nur Morde an Frauen zwischen sechzehn und vierzig. Und bei dieser Überprüfung sollte auf Merkmale geachtet werden, die auch bei den jetzigen Opfern gefunden wurden.«
»Und dann? Inwieweit würde uns das weiterhelfen?«
»Du erwartest doch jetzt nicht ernsthaft von mir, dass ich dir die Polizeiarbeit erkläre?«, sagte Nicole mit hochgezogenen Brauen.
»Das war nur so dahingesagt«, verteidigte sich Brandt.
»Gut. Und noch was: Er wird wieder morden, denn bei der Maurer hat er sich sehr viel Zeit gelassen, bevor er sie von ihren Leiden erlöst hat … Apropos. Das könnte doch auch die Symbole erklären. Sobald er die Opfer von ihren Leiden erlöst hat, ruhen sie in Frieden. Ist nur so ein Gedanke.«
»Das ist schon eine ganze Menge. Das heißt, wir suchen nach jemandem, der möglicherweise erst vor ein oder zwei Jahren nach Offenbach oder Umgebung gezogen ist, der die Andreas-Gemeinde besucht und der sehr gut über die Mitglieder Bescheid weiß. Richtig?«
»Fast. Wir sollten auch mal über sein Alter nachdenken, denn wenn ich mir sein bisher bekanntes Opferprofil anschaue, würde ich vermuten, er ist nicht älter als vierzig, eher jünger. Warum er geworden ist, wie er ist?« Nicole zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Das kriegt ihr vielleicht raus, wenn ihr ihn habt, was hoffentlich bald sein wird. Aber ich bin keine Profilerin …«
»Lass uns doch mal Profiler spielen. Angenommen, er wohnt noch nicht lange in Offenbach, warum ist er ausgerechnet hierhergezogen? Ich meine, ich bin Offenbacher mit Leib und Seele, andererseits sehe ich auch die Mängel in meiner Stadt: hohe Arbeitslosigkeit, kaum noch kulturelle Angebote, weil der Stadtsäckel gähnend leer ist … Weißt du, das Offenbach von heute hat mit dem Offenbach, in dem ich geboren wurde, kaum noch etwas gemein. Ich würde meine Stadt zwar immer verteidigen, aber ich sehe auch, dass es mit ihr immer weiter den Bach runtergeht. Erst vor ein paar Tagen habe ich gelesen, dass wir die höchstverschuldete Stadt Deutschlands sind.«
»Du wirst ja richtig sentimental«, bemerkte Nicole.
»Das kann man bei dem Thema auch werden. Offenbach hatte schöne Zeiten, aber die sind lange vorbei. Die Attraktivität von früher ist flöten gegangen. Ich sage immer, als Michael Groß mit dem Schwimmen aufgehört hat, hat auch Offenbach aufgehört, sich zu entwickeln. Stattdessen folgte Rückschritt auf Rückschritt. Das ist Fakt.«
»Jetzt mach aber mal halblang, immer mehr Unternehmen kommen her …«
»Ja, weil die Miet- und Grundstückspreise im Keller sind. Deswegen ziehen ja auch viele junge Familien her, weil man hier, verglichen mit anderen größeren Städten, günstig wohnen kann. Das macht aber noch längst nicht die Qualität einer Stadt aus. Mir fehlt das Flair von früher, und das macht mich irgendwie traurig. Es ist nicht mehr mein Offenbach, in dem ich groß geworden bin.«
»So hab ich dich ja noch nie reden hören. Hat Elvira dich bekehrt?«, fragte sie lächelnd.
»Nee, überhaupt nicht, aber ich sehe natürlich, wie unser Erzfeind Frankfurt boomt und wir nur noch neidisch rübergucken können. Aber lassen wir das. Warum entscheidet sich jemand, nach Offenbach zu ziehen?«
»Berufliche Gründe«, sagte
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