Teufelsleib
er musste nach Frankfurt. Er hatte noch etwas vor. Etwas sehr Wichtiges. Am Nachmittag hatte er noch nicht gewusst, wie die Nacht verlaufen würde, nun wusste er es. Er hatte das Bild schon vor Augen. Es war das letzte Testbild vor dem Finale.
Samstag, 23.13 Uhr
B randt hatte erst auf der Fahrt nach Frankfurt gemerkt, wie viel Kraft ihn der zurückliegende Tag gekostet hatte. Er war müde, erschöpft, hungrig, und in seinem Kopf rotierten die Gedanken, als befänden sie sich in einem schneller und schneller werdenden Karussell. Nicht, dass das Gespräch mit Nicole ihm nicht gutgetan hätte, ganz im Gegenteil, es war für ihn ein ganz besonderer Abend gewesen. Vorgestern hatte sie noch ausgesehen, als blicke sie dem Tod direkt ins Auge, heute war sie fast die Nicole, die er schon so viele Jahre kannte, mit der er so viele Ermittlungen durchgeführt hatte, mit der er sich immer so gut verstanden hatte und von der er sich stets verstanden gefühlt hatte.
Es war schön gewesen, sie so agil zu erleben, aber er machte sich keine Illusionen, was ihre Zukunft betraf. Ein paar Monate noch, ein Jahr, vielleicht auch zwei. Ein absehbarer Zeitraum, den sie hoffentlich ohne große Leiden überstand. Sie und ihre Familie, die alles für sie tat, damit sie sich wohl fühlte.
Es war kalt, die gefühlte Temperatur lag bei etwa minus zehn Grad. Schuld war der böige Nordwind. Dazu hatte es wieder angefangen zu schneien. Der Wetterbericht hatte für die kommenden Tage Schneefälle bei leicht steigenden Temperaturen vorhergesagt, doch es würde nur ein Intermezzo sein, denn bereits ab Dienstag sollten die Temperaturen auch tagsüber null Grad nicht überschreiten. Der Schnee würde also liegen bleiben.
Die Straßen waren wie ausgestorben, ein Großteil des Nachtlebens spielte sich im Ostend in der Hanauer Landstraße ab, wo die Discos und Technoclubs sich um diese Zeit mit Publikum füllten und bis in die früheren und zum Teil auch späteren Morgenstunden der Bär steppte. Oder im Frankfurter Bahnhofsviertel, das grell und besonders am Wochenende voller Menschen war: Männer, die in die Nachtbars schlichen, in die Laufhäuser, die Sexshops, die Videokabinen. Und natürlich noch Sachsenhausen, der Vorzeigestadtteil für Touristen aus aller Welt, die hier ihren Äbbelwoi und Handkäs mit Musik bekamen in dem Glauben, dies wäre die Kultur Frankfurts oder gar Deutschlands.
Er parkte in der Tiefgarage, nahm den Pilotenkoffer von der Rückbank und fuhr mit dem Aufzug in den einundzwanzigsten Stock. Leise öffnete er die Tür. Das Licht war gedimmt, der Fernseher lief, Elvira lag auf dem Sofa, die Augen geschlossen, ihr Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig. Auf dem Tisch standen ein Teller und ein leeres Weinglas.
Er würde noch eine Kleinigkeit essen und trinken, duschen und sich fürs Bett fertig machen, obgleich er nach diesem Tag wusste, wie schwer es sein würde, Schlaf zu finden. Er überlegte, ob er Elvira wecken sollte, entschied sich jedoch dagegen. Erst wenn er geduscht und gegessen hatte, würde er sich zu ihr setzen und sie sanft wecken. Und er wusste jetzt schon, wie ihre erste Frage lauten würde: »Wie spät ist es? Was, warst du so lange bei Nicole?«
Nach dem Duschen fühlte er sich wieder einigermaßen fit, er rasierte sich noch und zog sich nur ein Paar Shorts und ein T-Shirt an, aß eine Scheibe Brot mit Salami und trank ein Glas Milch dazu. Dann erst setzte er sich zu Elvira und streichelte ihr übers Haar. Sie knurrte wohlig, bis sie die Augen aufschlug und ihn verschlafen ansah.
»Wie spät ist es?«, fragte sie.
»Gleich Mitternacht.«
»Was, warst du so lange bei Nicole?«
Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, hatte er doch ihre Fragen schon vorher gekannt.
»Was gibt’s da zu grinsen?« Sie setzte sich auf und strich sich durchs Haar.
»Nichts.«
»Dann hör auch auf damit, es sieht sonst aus, als würdest du dich über mich lustig machen. Also, wieso kommst du so spät nach Hause?«
»Weil ich zu tun hatte. Ich war fast drei Stunden bei Nicole, und wir haben uns sehr konstruktiv über den Fall unterhalten. Und anschließend war ich noch mal bei Pfarrer Winkler.«
»Wie bitte? Mitten in der Nacht? Man kann’s auch übertreiben.«
»Es musste sein, und es war gut, dass ich auf meine innere Stimme gehört habe. Aber das alles hat auch noch Zeit bis morgen, ich möchte nur noch in die Heia.«
»Ein klitzekleines bisschen?«, schnurrte sie und legte den Kopf an seine Schulter.
»Was
Weitere Kostenlose Bücher