Teufelsleib
besser?«
»Hm, geht schon. Aber so wie heute hat Andrea noch nie reagiert. Sie hat mich angesehen, als wollte sie mich umbringen. So schlimm war es noch nie.«
»Komm, wir frühstücken und fahren dann in die Kirche.«
»Weißt du eigentlich, dass ich das letzte Mal als Kind in einer Kirche war?«, sagte Elvira.
»Dann wird’s ja mal wieder Zeit«, antwortete Brandt grinsend.
In dem noch fast leeren Café sprachen Brandt und Klein bei Croissants und Kaffee über Michaela Preusse und den schweren Gang zu ihren Angehörigen, der ihnen bevorstand. Es würde wieder ein voller Tag werden, erst Kirche, dann in Michaela Preusses Wohnung, anschließend zu den Eltern, sofern sie noch welche hatte. Und immer die Hoffnung im Gepäck, den Täter schnell zu fassen, damit nicht noch mehr junge Frauen so brutal ermordet wurden.
Um zwanzig vor zehn Uhr betraten sie die Kirche, die schon jetzt, trotz des miserablen Wetters, zu gut drei Viertel gefüllt war. Brandt war seit einer halben Ewigkeit nicht in einem Gottesdienst gewesen, doch der typische Geruch nach Weihrauch weckte sofort alte Erinnerungen. Der Altar war geschmückt, einige Gläubige tuschelten miteinander, andere waren in sich versunken, hatten die Augen geschlossen und die Hände gefaltet. Brandt sah sich vergeblich nach bekannten Gesichtern um.
Um Punkt zehn Uhr begann der Gottesdienst. Brandt ließ das Geschehen an sich vorüberziehen, bis sich unerwartet der Chor erhob und die acht Männer und zwölf Frauen einen Gospelsong sangen: »He’s got the whole world in his hands.« Es war mitreißend, und Brandt wippte automatisch mit. Besser geht’s nicht, dachte er und sah bei einem Seitenblick auf Elvira, dass sie die gleichen Gedanken hatte. Statt der folgenden Predigt hätte er lieber noch mehr von diesem grandiosen Chor gehört.
Winkler sprach über das Hohelied der Liebe, doch er vergaß nicht, darauf hinzuweisen, dass ein weiteres treues Mitglied der Gemeinde am Freitag Opfer eines Gewaltverbrechens geworden war, und bat die Anwesenden, der Verstorbenen zu gedenken.
Nachdem zum Abschluss noch einmal der eindrucksvolle Chor gesungen hatte, leerte sich gegen 11.20 Uhr die Kirche. Von vielen verabschiedete sich Winkler persönlich. Erst als fast alle gegangen waren, traten Brandt und Klein zu dem Pfarrer.
»Frau Klein, Herr Brandt, ich begrüße Sie, auch wenn ich Sie eigentlich verabschiede. Ich habe gar nicht bemerkt, dass Sie da waren. Hat Ihnen der Gottesdienst gefallen?«
»Ja«, antwortete Brandt, obwohl ihm nur der Chor gefallen hatte, den Rest hakte er ab. »Sie haben nicht übertrieben, Ihr Chor ist wirklich erste Sahne.«
»Danke, obwohl der Dank in erster Linie Herrn Neuendorf gebührt, dem es gelungen ist, innerhalb von nur einem halben Jahr diesen Chor auf die Beine zu stellen. Ich bewundere ihn dafür. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Die Familie Trautmann …«
»Ist bereits gegangen. Bedaure, aber Sie haben sie verpasst. Normalerweise sind sie länger hier, sie gehören meist zu den Letzten, die die Kirche verlassen, heute jedoch ausnahmsweise nicht.«
»Und Familie Weber habe ich vergeblich gesucht.«
»Die waren nicht da, sie wollten das den Kindern nicht zumuten, sie leiden sehr unter dem Verlust der Mutter. Es ist immer tragisch, einen Menschen zu verlieren, besonders tragisch ist es aber, wenn ein Mensch auf so unsinnige Weise aus dem Leben gerissen wird …«
»Ja, damit haben wir ständig zu tun«, entgegnete Elvira kühl. »Normale Tote interessieren uns nicht.«
»Das glaube ich Ihnen, der Tod ist ja Ihr ständiger Begleiter. Wie halten Sie das eigentlich aus?«
»Wir sind geschult, dem Tod täglich ins Gesicht zu blicken«, sagte Brandt. »Man gewöhnt sich daran. Wie an alles im Leben.«
»Da haben Sie recht«, sagte Winkler und wechselte gleich das Thema. »Ich hatte Ihnen doch die Liste mit Namen, Adressen und Telefonnummern aller Mitglieder gegeben. Warum probieren Sie es nicht einfach direkt? Ich denke, ein Gotteshaus ist nicht der passende Ort für eine polizeiliche Befragung, denn das war doch wohl Ihre Absicht. Oder täusche ich mich da?«
»Sie täuschen sich. Wenn ich jemanden befragen will, dann garantiert unter Ausschluss der Öffentlichkeit, und dieser Ort«, entgegnete Brandt bissig, »ist mir viel zu öffentlich. Wenn Sie verstehen, was ich meine. Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen. Und viel Erfolg noch.«
Ohne sich umzudrehen, ging Brandt mit Elvira zum Auto, das etwa hundert Meter entfernt
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