Teufelsmond
Misthaufen wühlen. Sie stand in Holzpantinen und mit gerafftem Kleid da. Jetzt klemmte sie sich den Stoff zwischen die Knie und stocherte in gebückter Haltung und mit hochgerecktem Gesäß im Mist herum. Karla beugte sich ein wenig nach vorn und erkannte die Läufe eines Schweines.
Sie hat die tote Sau im Misthaufen verscharrt, dachte Karla. Warum in aller Welt hat sie das getan? Nur wegen ein paar Krähen?
Auf der Straße trieb der Sohn vom Wegener-Henn ein paar Gänse vor sich her. An der Hand zog er dabei seine kleine Schwester mit sich. Ansonsten lag die Gasse ruhig. Kein Fuhrwerk rumpelte durch den Matsch, keine Magd huschte von einem Haus ins andere. Das Dorf lag so still, als wäre es verlassen. Nicht einmal die Hühner der alten Alrun, die sonst stets im Matsch nach ein paar Körnern suchten, waren zu sehen. Im Stall blökte das Vieh, doch kein Bauer ging über den Hof und schleppte Strohballen mit sich. Es war, als wäre das ganze Dorf in den Raunachtschlummer gefallen. Karla öffnete das Fenster und schnupperte. Normalerweise roch es hier immer nach gekochten Kohlblättern für die Schweine, nach gebackenem Brot oder wenigstens nach verbrannter Milch. Heute lag nur der Geruch von verbranntem Holz über dem Dorf.
Die Läden der meisten Häuser waren zugeklappt, sodass Karla nicht einmal erkennen konnte, was drinnen vor sich ging. Auf dem Hettrichhof stand zwar die Tür, die von der Küche in den Hof führte, einen Spalt offen, doch auch von dort drang kein Laut.
«Es ist, als wären sie alle gestorben», erklärte Karla.
«Wer ist gestorben?» Pater Fürchtegott blätterte in seinem Buch.
«Kein Mensch, kein Tier, kein Geräusch. Nichts. Nicht einmal die Vögel singen. So still und tot ist es eigentlich nur vor einem gewaltigen Sturm, vor einem Gewitter oder vor großem Unheil.» Karla schauderte und schloss das Fenster wieder. «Es ist, als schwebten dunkle Wolken über den Häusern. So große schwarze Wolken, dass ihre Bäuche direkt auf den Dächern zu liegen kommen.»
Sie drehte sich um. «Es ist unheimlich hier, Pater Fürchtegott. Ich habe wirklich Angst.»
Fürchtegott blickte Karla ernst an. «Ich auch», sagte er leise. «Aber wir dürfen der Angst nicht nachgeben. Angst gehört zum Bösen. Und wir müssen stärker sein.»
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Einundzwanzigstes Kapitel
«Ich glaube, es geht los!» Karla hatte leise gesprochen, doch die Aufregung hatte ihre Stimme schrill gefärbt. Sie sah hinunter auf das Dorf. Eben war unten im Pfarrhaus die Tür aufgegangen, und Else war hinausgehuscht. Auch im Hettrichhaus waren Lichter angegangen. Karla sah, wie der Hettrich in seine Scheune ging und wenig später wieder herauskam, mit einem Beil im Hosengürtel.
Beim Glenbauern traten die Knechte in den Hof, fassten die Fackelbündel. Einer trug einen Krug, der andere verstaute sein Messer im Stiefelschaft.
Pater Fürchtegott hatte sich zu Karla ans Fenster gestellt. «Wisst Ihr jetzt, wie Ihr sie aufhalten könnt?» Karla konnte ein Zittern nicht unterdrücken.
Pater Fürchtegott wiegte den Kopf. «Hier, nimm.» Er reichte Karla ein kleines Holzkreuz, das sich sofort in ihre Hand schmiegte, als gehörte es dorthin. «Nimm und eile dich. Lauf zur Michelsmühle. Die Müller müssen gewarnt werden.»
Schnell schlüpfte Karla in die Stiefel, schloss ihren Umhang und lief im Schutze der Katen hinab zum Schorbach. Sie hastete den Weg entlang, war schon bald am Brückchen. Überall im Dorf herrschte nun Leben. Tore wurden auf- und wieder zugestoßen. Männerstimmen füllten die Luft. Jemand lachte. Eine Frau fluchte. Vieh blökte in den Ställen, und als Karla das Dorf endlich hinter sich gelassen hatte und sich noch einmal umsah, da flammten die ersten Fackeln auf. Sie rannte über den Acker, achtete nicht auf das Schmatzen zu ihren Füßen. Ein Strauch stand ihr im Weg und ritzte ihr die Wange auf. «Au!», rief sie aus und hastete weiter, wischte sich im Laufen das Blut von der Wange. In ihren Seiten stach es, die Luft wurde knapp und der Brustkorb eng, doch Karla achtete nicht darauf. Sie rannte über die Äcker, dass die Stiefel kleine Schlammbrocken hochwarfen. Nur ein Gedanke saß in ihrem Kopf: Ich muss die Müller retten. Schon hatte sie die Handelsstraße erreicht, schon tauchten aus dem Dunkel die Giebel des Mühlenhauses auf. Keuchend hielt sich Karla die Seiten, während sie den Türklopfer betätigte.
«Was ist los, Karla. Um Gottes willen, komm herein und beruhige dich!»
Sofie
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