Teufelspfad
verabschiedete der Mond sich von ihm. Die Äste der Bäume hingen niedrig über den Pass, die Tunnel waren verlassen und verloren.
Als die Sonne durch den Morgennebel brach, rollte er gerade über die Rocky Mountains. Die hoch aufragenden Gipfel waren von Schnee bedeckt, die Luft wurde klar und kalt. Heute Nacht würde es einen Sturm geben; der Regen, den er in San Francisco hinter sich gelassen hatte, war auf dem Weg in die höheren Gefilde. Er musste seinen Auftrag erledigen und zusehen, dass er weiterkam und nicht in der Stadt hängen blieb. Das würde seinen Zeitplan über den Haufen werfen, und das wollte er auf alle Fälle vermeiden. Er schaute auf seine Uhr. Noch lief alles, wie es sollte.
In Conifer hielt er an, um zu tanken und sich einen Schokoriegel zu kaufen. Er brauchte die Energie, denn langsam wurde er müde. Einmal müsste er heute noch töten. Er war überrascht, wie ermüdend der Gedanke war. Beinahe langweilig. Aber nur beinahe. Das erste Mal in San Francisco – ja, das war etwas Besonderes gewesen. Er hatte dableiben und den Moment genießen wollen, noch einmal in Gedanken nacherleben, wie die Waffe in seiner Hand explodiert war, den schockierten Gesichtsausdruck auf ihren Gesichtern sehen, die Gerüche tief in sich aufnehmen, die ihre Körper verströmten. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass sie so riechen würden. Leicht verbrannt mit Spuren von Kupfer und einem feinen Hauch Urin.
Doch er hatte nicht bleiben und genießen können. Er hatte einen Plan, und an den musste er sich halten. Der Brief musste zugestellt, die nächsten Ziele ausradiert werden. Er wusste nicht, ob ihm dieses Spiel gefiel. Er fühlte sich gehetzt. Die Fahrerei, die direkt aufeinanderfolgenden Tötungen. Sein eigenes Gefühl war vollkommen außer Kraft gesetzt. Dass er sich die Opfer nicht selber aussuchen durfte, nahm ihm den ganzen Spaß an der Sache.
Doch er hatte zugestimmt, nach den Regeln zu spielen. Die Regeln zu befolgen bedeutete, dass er nicht erwischt wurde. Die Regeln bedeuteten, er könnte gewinnen und danach seinen eigenen Weg gehen, auf seine eigene Art weitertöten. Die Pistole war ihm zu unpersönlich, zu einfach. Er hatte es wirklich genossen, in Las Vegas das Messer einzusetzen. Noch vier weitere mit der Pistole, und dann war er wieder frei.
Er verschlang den Schokoriegel und trank eine Cola. Dann stieg er wieder in seinen Wagen und träumte auf der Weiterfahrt vor sich hin.
Freiheit. Wenn er gewönne, würde das Geld ihn mehrere Jahre über Wasser halten. Er brauchte nicht viel. Ein kleines Haus mit einem Keller würde reichen. Irgendwo in einer abgelegenen Gegend ohne neugierige Nachbarn. Vielleicht würde er sich eine Katze zulegen. Hunde mochte er eigentlich lieber, aber mit denen musste man spazieren gehen, und er wurde nicht gerne gesehen.
Nein, eine Katze wäre perfekt. Ein freundliches Gesicht, das ihm Gesellschaft leistete.
Und wenn alles gut lief, noch ein paar verängstigte, unfreundliche Gesichter dazu.
15. KAPITEL
Taylor saß in ihrem Büro und starrte aus dem Fenster. Die Nacht brach schnell herein. Die Ampel wechselte immer wieder langsam ihre Farben. Grün. Gelb. Rot. Grün. Gelb. Rot. Ihr fiel auf, dass die Farben sich ein kleines bisschen veränderten, je dunkler es wurde. Das Grün leuchtete in der Farbe von frisch gemähtem Gras, das Gelb wurde beinahe bernsteinfarben und das Rot ein lebendiges Purpur. Blutrot.
Die Ampel zu beobachten war besser, als sich mit den riesigen Stapeln an Papieren zu beschäftigen. Post-it-Zettel, Terminplanänderungen und neue Erkenntnisse zu verschiedenen Fällen verteilten sich wie eine Flutwelle auf ihrem Schreibtisch. Ihr Posteingang quoll über, die Holzplatte des Tisches verschwand unter lauter Müll. Selbst auf den Besucherstühlen stapelten sich Akten. Taylor war nur wenige Tage weg gewesen, doch es fühlte sich wie Wochen an und sah wie Monate aus. Sie sollte jetzt nicht hier sein, doch sie brauchte einen ruhigen Ort, um nachzudenken.
Baldwin hatte sie am Criminal Justice Center, kurz CJC, abgesetzt und sie streng ermahnt, worauf sie in der nächsten Stunde achten sollte, um während der Arbeit ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten. Dann war er gefahren, um sich um seine dringende Angelegenheit zu kümmern. Vermutlich organisierte er die Wachen, die auf sie aufpassen sollten. Diese gesteigerte Aufmerksamkeit bereitete ihr Sorgen. Nicht wegen der Drohung – der Pretender würde sich ihr nähern, daran bestand zu diesem Zeitpunkt kein
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