Teufelspfad
zu geben, sich ins Getümmel zu stürzen, aber es wurden bereits jetzt siebenhundert Einträge angezeigt. Sie klickte auf den Link und überflog sie.
Einer sprang ihr sofort ins Auge.
Ich weiß, wer du bist .
Ihr Herz schlug schneller. Sie stellte den Laptop beiseite und machte sich daran, alle Türen und Fenster zu überprüfen. Sie waren verschlossen, so wie sie es sein sollten. Sei nicht dumm, schalt sie sich. Online gab es genügend Verrückte, die jede Gelegenheit nutzten, sie zu ärgern. Doch dieses Mal half dieser Gedanke nicht, sie zu beruhigen. Im Gegenteil. Sie fühlte sich beobachtet und verletzlich.
Nur um ganz sicherzugehen, schaltete sie ihre Alarmanlage aus und noch einmal auf der höchsten Sicherheitsstufe, die sie hatte, ein. In der Sekunde, in der jemand ihre Haustür oder ein Fenster berührte, würde beim örtlichen Polizeirevier sofort ein stummer Alarm ausgelöst werden. Sie zog die Vorhänge vor und schaute nach Flynn, der endlich fest schlief, wie seine tiefen Atemzüge verrieten. Der Anblick der kleinen Brust, die sich rhythmisch hob und senkte, erfüllte ihr Herz mit Liebe und Furcht. Er war so unschuldig, so rein. Sie schloss die Tür bis auf einen kleinen Spalt, sodass sie ihn hörte, wenn er in der Nacht aufwachen würde. Dann kehrte sie an ihren Laptop zurück.
Ich weiß, wer du bist .
Sie scrollte durch die Nachrichten. Die Angst umklammerte ihre Kehle wie eine Eisenfaust. Es mussten Hunderte von Einträgen sein, alle mit diesen fünf Wörtern. Alle anonym. Alle zwischen halb eins und halb zwei heute Mittag hinterlassen.
Sie öffnete ihre Webstatistik und schaute die IP-Adresse zu den Kommentaren nach. Nashville, Tennessee.
Ein paar weitere Klicks verrieten ihr, dass sie von einem privaten Server an einem temporären Hot Spot verschickt worden waren, aber weiter kam sie nicht.
Sie knabberte an ihrem Daumen; ihre Zähne blieben an einem Nietnagel hängen. Sie zerrte so lange daran, bis die Haut riss und eine frische, blutende Wunde an ihrem Nagelbett hinterließ. Daran lutschte sie so lange, bis der Schmerz sie zwang, aufzuhören. Es war nicht das erste Mal, dass sie bedroht wurde, aber normalerweise handelte es sich um dummes, leeres Gerede, mehr dazu gedacht, sie zu ärgern, als ihr wirklich Angst zu machen. Immer hatte es sich um irgendwelche Hetzreden gehandelt, Schimpftiraden gegen sie und ihre Arbeit. Manchmal kamen sie von Familien, die hassten, was sie tat, manchmal von einem fehlgeleiteten Fan. Aber so etwas war nie dabei gewesen. Aus irgendeinem Grund fühlte es sich real an.
Sie überprüfte die anderen Posts, die sie heute eingestellt hatte. Genau das Gleiche. Unter jedem Post der gleiche Kommentar, die gleichen fünf so harmlos erscheinenden Wörter, bei denen ihr der Schweiß ausbrach.
Ich weiß, wer du bist .
Niemand wusste, dass sie Felon E war. Niemand. Sie hatte streng darauf geachtet, ihre Identität geheim zu halten. Sie hatte sogar getrennte E-Mail- und Telefonsysteme für ihre Blog-Kontakte eingerichtet. Ihr Handy lief über eine Prepaidkarte, und ihr Postfach war unter einem ganz anderen Namen registriert. Nichts konnte zu ihr, Colleen Keck, zurückverfolgt werden. Weder die Telefongesellschaft noch die Post hatten die Möglichkeit, zwei und zwei zusammenzuzählen. Einzig, wenn ihr jemand zur Post gefolgt war und sie dabei beobachtet hatte, wie sie das Postfach von Felon E geleert hatte und danach nach Hause zurückgekehrt war, könnte jemand ihre Identität entdeckt haben.
Außer jemand war in ihr System eingedrungen und hatte ihre Telefonrechnung mit ihrer IP-Adresse abgeglichen. Das war allerdings sehr weit hergeholt. Sie leitete alles über mehrere Server, damit sie nicht so leicht zurückverfolgt werden konnte, und außerdem loggte sie sich jedes Mal mit einer neuen IP-Adresse ein. Sie gab ein paar Befehle ein und sah erleichtert, dass niemand sie gehackt hatte. Keine Spur davon, dass jemand in ihrem System gewesen war.
Also warum hatte sie dann das Gefühl, dass dieser Irre die Wahrheit sagte?
Ich weiß, wer du bist .
Hektisch flog ihr Blick über die anderen Kommentare, wobei sie einen noch verstörenderen Eintrag fand.
Ein kurzer Briefwechsel nur, tief vergraben in dem ganzen Chaos. Er kam von einem ihrer regelmäßigen Leser, @texasmassacre, und lautete:
Hey, hast du von @kittycrime und @chaosmaster gehört? Sie sind in San Francisco hingerichtet worden .
Die Folgekommentare reichten von purem Entsetzen bis zu selbstgefälligen
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