Teufelspfad
Jeden Morgen im Diner essen, überall zu Fuß hingehen, Leuten zuwinken, die man schon sein Leben lang kennt.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Oh, nein, nicht mit mir. Mit so viel Nähe komme ich nicht klar. Nashville ist klein genug für meinen Geschmack, und da weiß auch jeder, was ich mache.“
Sie stiegen aus dem Auto und schauten sich auf der Straße um. „Das ist wirklich unglaublich bezaubernd. Ich kann mir Ewan Copeland hier gar nicht vorstellen. Die Stadt ist einfach zu normal. Zu entzückend.“
Baldwin sah einen Mann in Uniform im Fenster des Drugstores stehen und ihnen zuwinken.
„Guck, der Chief wartet schon. Er winkt uns vom Fenster aus zu. Erlösen wir ihn.“
Sie gingen an den parallel parkenden Autos auf dem Mittelstreifen vorbei und betraten den Drugstore. Rotes Vinyl, glänzendes Chrom und der überwältigend köstliche Geruch von gebratenen Burgern empfing sie.
„Sie müssen die Leute aus Nashville sein“, sagte der Chief und schüttelte ihnen die Hände, bevor er sie zu einer Sitzecke am Fenster führte. Er war fit, ungefähr eins fünfundsiebzig groß, mit grauem Haar. Sein Gesicht war wettergegerbt; er schien viel Zeit an der frischen Luft zu verbringen. Taylor schätzte ihn auf Mitte fünfzig.
„Was hat uns verraten?“, fragte sie lächelnd.
„Ich kenne alle hier in der Gegend, die eine Waffe haben. Außerdem waren Sie nach dem Aufruhr in Nags Head in allen Nachrichten. Die Gesetzeshüter von North Carolina haben ein paar schlimme Tage hinter sich. Hoffentlich liegt das Schlimmste jetzt hinter uns. Oder haben Sie das Chaos etwa mitgebracht?“
„Ich hoffe nicht.“
„Gut. Ich bin nämlich nicht in der Stimmung, böse Jungs zu jagen.“ Er lächelte so breit, dass sie das Fehlen eines Backenzahns auf der rechten Seite bemerkte. Um seine Augen bildeten sich Lachfältchen. Taylor mochte ihn auf Anhieb.
Sie setzten sich in die Nische, und eine junge Frau kam, um ihre Bestellung aufzunehmen. In ihrer sehr schmal gezupften linken Augenbraue trug sie ein Piercing, ihr Haar war rot gefärbt – Henna oder billige Supermarkttönung. Es passte zu ihrer milchweißen Haut und den braunen Augen.
„Wenn Sie frühstücken wollen, kann ich die Biscuits hier empfehlen. Ansonsten sind die Burger spitze“, sagte Chief Morgan.
Taylors Magen knurrte vor Vorfreude. Auf dem Weg hierher hatten sie nichts gegessen. „Ich nehme einen Burger. Well done mit Käse, bitte. Und Pommes frites. Und eine Cola light.“
„Geht auch Pepsi?“, fragte das Mädchen.
„Igitt. Na gut, wenn es sein muss.“
„Was anderes haben wir hier leider nicht. Wie steht’s mit Ihnen, Sir?“
„Ich nehme das Gleiche“, sagte Baldwin. Er klappte die kleine Speisekarte zusammen und steckte sie in den Serviettenhalter.
„Mach drei draus, Amy. Und pack bei mir noch eine dicke Scheibe Pfefferbacon drauf.“
Das Mädchen nickte und eilte davon. Morgan schaute ihr hinterher. „Dieser Drugstore gehört Amys Familie seit Anfang des letzten Jahrhunderts. Wenn Sie an der Wand da hinten zu den Waschräumen entlanggehen, sehen Sie ein Gemälde von der Main Street, wie sie einmal ausgesehen hat. Die ganzen alten Ladenfronten. Es hat sich seitdem einiges verändert, aber ein paar der Häuser sind noch original. Zum Glück hat sich endlich das Amt für Denkmalschutz eingeschaltet und ein paar Gebäude unter Denkmalschutz gestellt, damit wir vom Landkreis und vom Staat Gelder zum Erhalt bekommen. Der Buchladen nebenan ist ein perfektes Beispiel dafür. Bei der Renovierung wurde ausgezeichnete Arbeit geleistet. Es ist auch das höchste Gebäude der Stadt. Das haben Sie nicht gewusst, was?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber deshalb sind Sie nicht hier. Sie möchten über die Copelands reden.“
Taylor hörte den Unterton in seiner Stimme, die Mischung aus Abscheu und Traurigkeit. Sie wappnete sich. Die Geschichte, die sie jetzt zu hören bekäme, wäre nicht antiseptisch auf ein Stück Papier gedruckt und frei interpretierbar. Sie würden den Kern der Geschichte zu hören bekommen, die Antworten auf das Grauen, das sie seit Monaten verfolgte. Sie schluckte unwillkürlich; ihr Mund war mit einem Mal ganz trocken. Amy kam mit ihren Getränken. Taylor steckte einen Strohhalm in den Styroporbecher und trank einen großen Schluck. Für den schnellen Koffeinkick gelang es ihr sogar, den von ihr so verhassten Geschmack zu ignorieren.
Morgan strich sich mit dem Finger über die Nase, sammelte sich und fing dann
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