Teufelsstern
geschäftiges Städtchen voller Staub und Verkehr. Als Matt aus dem Bus stieg, stellte er als Erstes fest, dass alle Häuser einen weißgelben Anstrich hatten. Es erinnerte ihn an eine Filmkulisse – vielleicht aus einem alten Western. Aber das hier war das reale Leben. Das bewiesen die Müllhaufen, die Wäsche, die auf Leinen über den Dächern flatterte, und die Graffitibilder an vielen Wänden. Überall hingen Werbeplakate für Nike und Coca-Cola und für Politiker und ihre Parteien. Auf Bänken saßen alte Männer und Frauen und blinzelten in die Sonne, Taxis überquerten den Marktplatz in einem wahnwitzigen Tempo, und Geldwechsler in grünen Jacken verfolgten die Touristen, die alles mit ihren Digitalkameras fotografierten. Wahrscheinlich hatten diese mehr gekostet, als die Einheimischen in einem Jahr verdienten.
Sebastian war mit den beiden Jungen auf den Marktplatz gegangen. Er kaufte ihnen Reis mit Gemüse und setzte sich zu ihnen auf den Bordstein, als sie hungrig das Essen hinunterschlangen.
»Ich mag diese Provinzkäffer nicht«, sagte er. »Lima ist zwar ein Dreckloch… aber da weiß man wenigstens, wo man ist und mit wem man es zu tun hat. Doch was diese Leute vom Land denken, ist mir ein Rätsel. Vielleicht denken sie gar nicht, es sind ja nur ungebildete Indios.«
»Was machen wir jetzt?«, fragte Matt.
»Was wir jetzt machen? Ich kann dir sagen, was ich jetzt mache, Matteo.« Sebastian zündete sich eine Zigarre an. Matt fiel auf, dass er ihn fast nie ohne eine Zigarre im Mund gesehen hatte. »Ich fahre nach Ayacucho. Wenn ihr es lebend bis dahin schafft, kommt zum Marktplatz. Dort werden Leute sein, die nach euch Ausschau halten. Sie werden euch zu mir bringen.«
»Ich dachte, Sie helfen uns, zur hacienda zu gelangen.«
Sebastian lachte abschätzig. »Ich habe dir schon genug geholfen. Außerdem hänge ich an meinem Leben. Ich zeige dir, wo sie ist, aber dann seid ihr auf euch allein gestellt.«
Nachdem sie aufgegessen hatten, ging er mit ihnen über eine Brücke bis an den Ortsrand des Städtchens. Auf dem Weg sprach er mit Pedro. Er schien ihm Ratschläge zu geben. Allmählich blieben die Häuser hinter ihnen zurück, und sie kamen an einen Sandweg, der von der Hauptstraße abzweigte.
»Nehmt diesen Weg. Bis zur hacienda sind es acht Kilometer«, sagte er. »Ich hoffe, dass du deinen Freund dort findest, Matteo, aber wie ich schon sagte, bezweifle ich es. Vielleicht sehen wir uns in Ayacucho wieder, obwohl ich auch das bezweifle. Aber ich hoffe es.«
»Ich dachte, Sie mögen mich nicht«, sagte Matt.
»Pedro meint, dass ich dich falsch eingeschätzt habe, dass du nicht so bist wie die anderen reichen Kinder aus dem Westen, die alles haben und nie an Leute wie uns denken.« Er zuckte die Achseln. »Außerdem bist du ein Feind der Polizei, und das reicht, um dich zu meinem Freund zu machen.«
Er griff in die Tasche und holte einen Stoffbeutel heraus.
»Ich habe etwas Geld für euch. Es sind hundert Soles. Das ist viel… umgerechnet fast zwanzig Pfund. Und bevor du mir dankst – es gehört Pedro. Er war es, der es gestohlen hat. Vielleicht hält es euch beide am Leben.«
Pedro sagte etwas auf Spanisch. Sebastian ging zu ihm und sprach lange auf ihn ein. Als er fertig war, strich er dem Jungen übers Haar. Plötzlich sah er traurig aus.
»Ich hatte mal einen Sohn«, sagte er. Sebastian schüttelte den Kopf, als wollte er den Gedanken daran vertreiben. »Ihr wisst, wo ihr mich findet.«
Dann drehte er sich um und ging fort.
Matt sah Pedro an, der ihm zunickte. Sie konnten zwar immer noch nicht miteinander sprechen, aber sie schienen sich zunehmend besser zu verstehen. Gemeinsam gingen sie weiter.
Der breite Sandweg, den Sebastian ihnen gezeigt hatte, verlief zwischen Feldern hindurch, auf denen Mais und Rüben wuchsen. Auf den Weiden standen Rinder und fraßen das grobe, stachlig aussehende Gras. Die beiden Jungen hielten sich auf Sebastians Rat hin dicht am Wegrand, um blitzschnell in Deckung gehen zu können, falls sich ein Auto näherte. Einmal kam ein Lastwagen angerattert, und die beiden warfen sich unter einen niedrigen Busch, wo sie blieben, bis nur noch die Staubwolke des Lasters zu sehen war. Der Nachmittag war glühend heiß. Pedro hatte zwei Plastikflaschen aus einer Mülltonne geholt und sie mit Leitungswasser gefüllt, aber Matt bezweifelte, dass das ausreichen würde. Seine Flasche war außerdem undicht – er spürte, wie ihm das Wasser in die Hosentasche lief. Am
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