Teufelsstern
zurück. Professorin Chambers füllte fünf Becher mit heißem, süßem Tee aus Minzblättern, die sie in ihrem Garten gepflückt hatte. Abgesehen vom Zischen des Kochers herrschte in der endlosen Weite der Wüste absolute Stille.
»Ich werde versuchen, es verständlich zu erklären«, begann sie. »Ich habe euch schon vom Rätsel der Nazca-Linien erzählt. Und jetzt werdet ihr hören, zu welcher Lösung dieses Rätsels ich gekommen bin. Ich habe darüber vor einiger Zeit ein Buch geschrieben, aber nur wenige Leute haben mir geglaubt.« Sie verstummte einen Moment lang. »Vielleicht hat Diego Salamanda es gelesen. Und vielleicht bin ich deshalb zum Teil für das verantwortlich, was gerade geschieht.
Wie ich bereits sagte, habe ich die Linien schon fast mein ganzes Leben lang studiert. Ich war von Anfang an fasziniert von ihnen, und damals dachte ich noch, dass es an ihrer Perfektion liegt… ihrer Schönheit. Aber im Laufe der Jahre wurde mir klar, dass ich mich geirrt hatte. Ich kann nicht erklären, wie es passiert ist, aber irgendwann fing ich an zu glauben… dass etwas Böses an ihnen ist. Die Bilder der Tiere sind wundervoll, das will ich nicht abstreiten. Aber für die Menschen, die vor zweitausend Jahren gelebt haben, müssen sie Furcht einflößend gewesen sein. Riesige Spinnen, monströse Wale. Selbst der Affe ist grotesk mit seinen spindeldünnen Armen. An einer Hand hat er nur vier Finger. Was meint ihr, warum die Leute, die ihn gemacht haben, ihm einen Finger zu wenig gegeben haben?«
»Vielleicht konnten sie nicht zählen«, meinte Richard.
»Nein, das war es nicht. Aber in früheren Gesellschaften waren Missbildungen etwas, vor dem die Menschen Angst hatten. Vielleicht sollten all die Wüstentiere genau das bewirken, den Menschen Angst zu machen.«
Sie holte eine Zigarre aus der Tasche und zündete sie an. Vor dem schwarzen Nachthimmel schimmerte der Rauch silbern.
»Die meisten Forscher sind sich mittlerweile einig, dass die Nazca-Linien etwas mit den Sternen zu tun haben«, fuhr sie fort. »Vor langer Zeit habe ich Astronomie studiert, und ich war von Anfang an der Meinung, dass die Linien nichts anderes sind als eine riesige Sternkarte.
Und so könnte sie funktionieren: Zu bestimmten Zeiten des Jahres zeigt eine der Linien auf einen Stern. Wenn man also auf einer der Linien steht und direkt vor sich einen Stern am Horizont erscheinen sieht, weiß man, welcher Tag ist und ob es somit an der Zeit ist, zum Beispiel das Getreide auszusäen. Aber später fing ich an, mehr darüber nachzudenken. Was würde passieren, wenn es einen Moment gäbe – vielleicht nur ein paar Minuten alle tausend Jahre –, in dem alle Linien auf alle sichtbaren Sterne zeigen? Also, das wäre…« Sie hielt inne. »Langweile ich dich, Matthew?«
Matt starrte nach oben. Seine Augen suchten den Nachthimmel ab. Anfangs hatte er zugehört, aber dann hatte ihn etwas abgelenkt. Doch er wusste nicht, was es war. Es gab keine Geräusche in der Wüste. Hatte er es sich nur eingebildet? Nein, da war es wieder, ein leises Flattern wie eine Fahne im Wind. Er lauschte angestrengt, aber es war schon wieder vorbei.
»Hörst du überhaupt zu?«, fragte Professorin Chambers.
Matt sah sie an. »Ja natürlich.«
»Gut. Jetzt wird es nämlich etwas kompliziert. Wie gesagt, habe ich mich gefragt, ob es möglich ist, dass die Linien auf alle Sterne zeigen. Aber wie würde man das herausfinden? Nun, man könnte sich in der Wüste auf den Rücken legen und ein Foto vom Nachthimmel machen. Dann bekäme man ein riesiges Blatt Papier mit lauter kleinen Punkten. Dann müsste man in ein Flugzeug steigen und die Linien von oben fotografieren. Ich war auf der Suche nach dem Zeitpunkt, an dem die Punkte auf dem ersten Bild genau auf die Linien im zweiten treffen… Natürlich würde so etwas nicht sehr oft passieren. Vielleicht sogar nie. Wenn man sie von der Erde aus betrachtet, scheinen sich die Sterne zu bewegen. Der Grund dafür ist natürlich, dass es die Erde selbst ist, die sich bewegt – sie dreht sich um ihre eigene Achse. Deswegen hat es den Anschein, als wären die Sterne nie exakt am selben Ort.
Und die Erde dreht sich nicht nur um sich selbst, sie kreist auch um die Sonne. Und dabei schwankt sie ein wenig. Astronomen nennen dieses Schwanken Präzession. Das alles läuft darauf hinaus, dass die Erde nur alle sechsundzwanzigtausend Jahre in exakt derselben Position ist.
Und wie ich anfangs sagte, habe ich den Verdacht, dass die
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